Pirelli-Bilanz: Kleine Anpassungen für 2023

Pirelli zieht 18-Zoll-Bilanz
Kleine Anpassungen für 2023

Zuletzt aktualisiert am 23.08.2022

Bei den Pirelli-Verantwortlichen war die Nervosität vor der Saison groß. Mit der Umstellung auf die neuen Groundeffect-Autos ging nebenbei eine kleine Reifenrevolution einher. Von 13-Zoll-Ballonreifen wechselte die Königsklasse auf 18 Zoll große Niederquerschnittsgummis. Sie tragen auf Bodenwellen deutlich weniger zur Federung bei. Und sie walken auch nicht so stark in Kurven.

Bei der Entwicklung schossen die Ingenieure in Mailand auf ein bewegliches Ziel. Niemand wusste vorher, wie schnell die neue Formel-1-Generation am Ende sein würde. Vergleichsdaten mit ähnlichen Reifengrößen aus dem GT-Sport waren für Pirelli unbrauchbar. Grand-Prix-Renner produzieren deutlich mehr Abtrieb und erreichen somit auch viel höhere Kurvengeschwindigkeiten. Die Belastungen sind mit keiner anderen Serie auf diesem Planeten zu vergleichen.

Am Ende traf Pirelli aber praktisch voll ins Schwarze. Befürchtungen, dass die Italiener aus übertriebener Vorsicht ultraharte Reifen backen, die nur Einstopp-Rennen produzieren, bewahrheiteten sich nicht. Rechnet man die Boxenstopps der Rennsieger in den ersten 13 Rennen zusammen, kommt man auf 23. Macht glatte zwei Reifenwechsel pro Rennen.

Eine Einstopp-Strategie war nur in Jeddah, Melbourne, Miami und Le Castellet der schnellste Weg ins Ziel. Auch die Performance passt. Nach einer internen Auswertung der Daten vom Rennen in Silverstone sind die neuen Autos nur zwei Sekunden langsamer als die Vorjahresmodelle.

Charles Leclerc - Formel 1 - GP Ungarn 2022
xpb

Pirelli sorgt für mehr Action

Die wichtigste Zielsetzung für Pirelli lag aber darin, besseres Racing auf der Strecke zu ermöglichen. Das neue Aero-Konzept der Autos sorgt für weniger verwirbelte Luft am Heck, wodurch Verfolger dichter aufschließen können. Nun musste Pirelli nur noch dafür sorgen, dass die Gummis bei stärkerer Beanspruchung über mehrere Runden nicht sofort überhitzen.

Nach gut der Hälfte der Saison fiel das Zwischenfazit von Sportchef Mario Isola positiv aus: "Die neuen 18-Zoll-Reifen haben alle Ziele erfüllt. Wenn man bedenkt, dass es das erste Jahr mit einem komplett neuen Produkt ist, bin ich mehr als zufrieden damit, wie gut die Show ist. Es gibt jetzt deutlich mehr Action."

Gerade bei Einstopp-Rennen konnte man früher oft beobachten, wie die Piloten die Reifen vorsichtig über lange Stints gestreichelt haben. Jetzt bekommen die Fans plötzlich Zweikämpfe über mehrere Runden geboten, wie zum Beispiel Leclerc gegen Verstappen in Bahrain oder Le Castellet. Davon konnte man vorher auch bei Pirelli nur träumen.

"Das war bei den Testfahrten schwer zu simulieren, weil die Autos dort nur selten im Verkehr unterwegs sind und in der Regel nicht gegeneinander gekämpft wird", gibt Isola zu Bedenken. "In den Rennen haben wir gesehen, dass die Piloten deutlich aggressiver fahren können. Und wenn die Reifen doch mal kurz zu heiß werden, erholen sie sich nach einer Abkühlrunde wieder, und der Grip kommt zurück. Das war früher nicht der Fall."

Lewis Hamilton & Mario Isola - Pirelli - GP Bahrain 2022
Motorsport Images

Mehr Grip für C1-Mischung

Das neue Paket aus Auto und Reifen funktioniert also gut. Deshalb ist man bei Pirelli auch etwas zögerlich, Veränderungen vorzunehmen. Das Risiko, etwas zu verschlechtern, sei groß, so Isola. Ein Problem, das man aber angehen will, ist die Balance. Weil der Vorderreifen im Vergleich zum Pendant auf der Hinterachse zu schwach ist, kämpfen alle Fahrer mit Untersteuern, vor allem in langsamen Kurven. Bei den letzten Testfahrten vor der Sommerpause hat Pirelli aber schon neue Prototypen ausprobiert, um das Problem anzugehen. Die Ergebnisse waren laut Isola vielversprechend.

Auch bei der Spreizung der einzelnen Mischungen will man noch einmal Hand anlegen. "Wir arbeiten daran, den Grip der ganz harten C1-Reifen zu verbessern. Aktuell ist uns der Abstand zu den C2 etwas zu groß", gibt Isola zu. Die Mischungen C4 und C5 sollen zudem etwas widerstandsfähiger werden, um die Gefahr von Graining zu reduzieren. Nach dem Rennen in Monza steht noch ein letzter Testtag mit Red Bull auf dem Programm. Dann soll die genaue Zusammensetzung der fünf Mischungen homologiert werden.

Mit der neuen Karkasse wollen sich die Ingenieure in Mailand noch etwas länger Zeit lassen. "Wir wissen, dass die Autos nächstes Jahr noch einmal deutlich schneller werden. Deshalb entwickeln wir einen robusteren Unterbau", erklärt Isola. Die neue Konstruktion soll zudem die Auflagefläche des Reifens auf dem Asphalt erhöhen, was nicht nur für mehr Grip, sondern auch für eine gleichmäßigere Hitzeentwicklung sorgt. Außerdem hat Pirelli angekündigt, dass man nächstes Jahr endlich die teilweise absurd hohen Reifendrücke reduzieren will.

Für weitere Prototypen-Tests sind die Wochenenden in Suzuka und Austin vorgesehen. Dann müssen alle Piloten im zweiten Training ein paar Kilometer mit neuen Gummisorten abspulen. Die letzte Generalprobe findet dann wie üblich nach dem Saisonfinale in Abu Dhabi statt. Vor der langen Winterpause haben alle Teams einen Tag lang zwei Autos im Einsatz. Eines davon ist allerdings für einen Junior-Piloten reserviert.

Lewis Hamilton - GP Spanien 2022
Wilhelm

2023 mit mehr In-Event-Tests?

Isola blickt mit einem Auge auch bereits auf die Saison 2023. Die kommende Autogeneration soll ihr Debüt nach den letzten Kalenderplänen Ende Februar geben – nur wenige Tage vor dem Auftaktrennen in Bahrain. Sollten dabei Probleme mit den Reifen auftreten, bliebe kaum noch Zeit für Änderungen.

Auch das Testprogramm während der Saison bereitet etwas Bauchschmerzen: "Wenn der Kalender wirklich 24 Rennen umfasst, bleiben kaum noch Lücken, um zwischendurch mit einzelnen Teams zu testen. Außerdem soll es mehr Übersee-Rennen geben. In dem ganzen Reisestress bleibt für uns keine Gelegenheit, neue Prototypen auszuprobieren. Wir hoffen deshalb, dass die FIA uns mehr sogenannte In-Event-Tests genehmigt, bei denen die Teams im freien Training Daten für uns sammeln müssen."

Am Ende steht Pirelli vor dem üblichen Dilemma. Sind alle einigermaßen zufrieden mit dem Produkt, wie in dieser Saison, redet kaum einer über den Lieferanten. Gibt es Probleme, gerät der Alleinausrüster unfreiwillig in die Schlagzeilen. Auf die negative PR würde Pirelli gerne noch ein bisschen länger verzichten.