F1-Technik erklärt: Mercedes Seitenkasten-Trick

Mercedes Technik-Trick erklärt
Das Geheimnis der Seitenkästen

Zuletzt aktualisiert am 25.03.2022

Der Mercedes W13 wurde bereits mit schlanken Seitenkästen geboren. Schon bei den Testfahrten in Barcelona haben sich viele Experten gewundert, wie die Ingenieure in Brackley und Brixworth die Innereien auf so wenig Platz verstauen konnten. Nur McLaren und Williams folgten dem Konzept, den Seitenkasten vorne breit zu bauen, um nach einem kurzen Bauch in eine extrem schlanke Taille im Heck überzugehen.

Doch das war erst der Anfang. In Bahrain präsentierte Mercedes ein Auto, das die Bezeichnung B-Version verdient. Manche sprachen gar von einem neuen Konzept. Das wäre aber übertrieben. Der runderneuerte W13 ist nur der nächste Evolutionsschritt einer Aerodynamikidee. "Wir haben die Innereien anders verteilt und eine neue Verkleidung drumherum gebaut", meinte Chefingenieur Andrew Shovlin bescheiden.

Mercedes-Technik - GP Bahrain 2022
Wilhelm

25 Prozent Abtrieb vom Frontflügel

Wer den W13 offen sieht, der versteht, dass da eine Menge mehr Arbeit und Innovation dahintersteckt als nur eine neue Außenhaut zu bauen. Shovlin erklärt im neuen FIA-Format "Show and tell", was hinter dem silbernen Wunderauto steckt, das im Moment noch mit ein paar Kinderkrankheiten zu kämpfen hat.

Beginnen wir die Reise mit dem Frontflügel. Laut Mercedes trägt er ungefähr 25 Prozent zum Gesamtabtrieb des Autos bei. Früher wurde der vordere Flügel auch dazu genutzt, die Turbulenzen rund um die Vorderreifen zu steuern. Diese Möglichkeit wurde den Ingenieuren genommen, weil im neuen Reglement die vertikalen Leitbleche unter dem Flügel verboten sind.

Im Vergleich mit dem Präsentationsmodell trägt der Flügel seit Bahrain eine neue Flap-Verstellung, die es den Ingenieuren erlaubt, die Aero-Balance im Rahmen von zwei Prozent von vorne nach hinten zu schieben. Auch die Nase bekam eine neue Form. Sie ist stärker unterschnitten, was die Strömung zum Unterboden verbessert.

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Wilhelm

Vorteil von kurzen Seitenkästen

Das spektakulärste Detail sind natürlich die Seitenkästen – oder das, was davon übriggeblieben ist. "Sie sind nicht nur dazu da die Kühler zu beherbergen, die den Motor kühlen. Sie müssen auch so konzipiert sein, dass sie nicht die Strömung zum Diffusor und Heckflügel stören", erklärt Shovlin. Das neue Konzept mit den zurückversetzten Kühleinlässen folgt der Idee, die Seitenkästen so weit wie möglich weg von den Luftverwirbelungen rund um die Vorderräder zu platzieren.

Das einzige andere Auto, das dieses Ziel ansatzweise schafft, ist übrigens der Alpine A522. Da beginnen die Seitenkästen ersten 30 Zentimeter hinter der vorderen Cockpitkante. Bei Mercedes ist es noch extremer.

Mit der Verkürzung des Seitenkastens stand die obere seitliche Crashstruktur plötzlich alleine da. Sie dient auch als Stütze des Spiegels. Das Profil lenkt die Strömung nach unten ab, während die Seitenwände der Seitenkästen schräg Richtung Boden abfallen und schlechte Luft vom Auto nach außen zwingen. Laut Mercedes reduziert diese Bauweise die Luftwirbel hinter dem Auto, womit das Ziel der FIA erfüllt sei.

Shovlin gibt zu: "Wir mussten die Crashstruktur verkleiden um sie so sauber und neutral wie möglich in die Strömung zu stellen. Es war anfangs nicht klar, dass es erlaubt sein würde, doch je genauer wir die Regel studiert haben, desto mehr haben wir begriffen, dass es doch geht."

Die Verpackung von Motor, Getriebe, Kühlern, Hydraulik und Steuergeräten ist ein Meisterwerk und nicht so einfach zu kopieren. Vor allem in der Konstruktion der Kühler und Wärmetauscher steckt viel Knowhow.

Die englische Firma "Research Engines" wirbt auf ihrer Website mit Kühlern die kleiner, leichter und aerodynamischer sind als herkömmliche Produkte. Von außen sind überhaupt nur die zwei Kühler für den Verbrennungsmotor zu sehen. Sie stehen schräg hinter den Kühleinlässen. Alle weiteren Kühlelemente und Wärmetauscher sind platzsparend im Chassis verbaut.

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Wilhelm

12 Prozent Abtrieb vom Heckflügel

Die Heckflügel erzeugt zwölf Prozent des Anpressdrucks und reduziert den Luftdruck hinter dem Diffusor, was die Arbeit des Unterbodens unterstützt. Das Teil blieb seit den Testfahrten in Barcelona unberührt. Es musste für Bahrain nur auf Anschlag gestellt werden, weil Mercedes wegen des Bouncings massiv Abtrieb verlor.

Der Unterboden, der bei den Groundeffect-Autos abhängig von der Geschwindigkeit den größten Beitrag zum Gesamtabtrieb liefert, stand ebenfalls im Fokus der Aerodynamiker. Dort, wo die Luft in die acht Kanäle unter dem Auto eintritt, soll das größte Potenzial verborgen sein. Auch weil die äußeren drei Kanäle leicht nach außen zeigen dürfen. Wer es clever anstellt, kann den Boden zur Seite hin versiegeln.

Zwischen den Testfahrten und dem Rennwochenende in Bahrain nahmen die Ingenieure noch leichte Anpassungen vor. Die Kanäle am vorderen Diffusor und das Dach des Bodens vor den Hinterreifen haben sich an den Kanten verändert. Mit dem Ziel effizienten Abtrieb zu gewinnen.

Außerdem nahm Mercedes das Angebot der FIA an, den Boden mit einem Spanndraht zu stabilisieren, um die Auswirkungen des Schaukelns auf den Geraden zu verringern. Dazu nahmen die Ingenieure in Brackley Modifikationen noch am unteren Deflektor der hinteren Bremsbelüftungen vor, um den Diffusor besser vor den Turbulenzen der Hinterräder zu schützen.