Normalerweise sollen Regeländerungen die Autos langsamer machen. Nur ein Mal, 2017, war es umgekehrt. Autos und Reifen wurden breiter. Nie war die Formel 1 so schnell. Mit dem Nachteil, dass auch die Probleme beim Hinterherfahren größer geworden sind. Wer die Turbulenzen des vorausfahrenden Autos kreuzte, verlor bis zu 50 Prozent Abtrieb.
Deshalb kehrten die Groundeffect-Autos zurück. Sie lenken die schlechte Luft nicht mehr zur Seite ab, sodass sie sich hinter dem Auto in Bodennähe treffen und das nachfolgende Auto so nachhaltig stören könnten wie früher. Das Formel-1-Management versprach sich von den neuen Autos mehr Action. Doch würde die Realität das halten, was die Theorie versprach?

Ein Mix aus Aerodynamik und Reifen
Nach den ersten 13 Rennen kann man sagen, dass Zweikämpfe auf der Rennstrecke spannender geworden sind. Weil sie nicht mehr nur zwei Runden dauern. Früher musste der Überholversuch im ersten oder spätestens im zweiten Anlauf klappen. Danach haben die Reifen so stark überhitzt, dass selbst der schnellere Fahrer am langsameren nicht vorbeikam.
Zweikämpfe wie die zwischen Max Verstappen und Charles Leclerc in Jeddah oder Paul Ricard, von Lewis Hamilton mit Pierre Gasly in Imola oder mit Mick Schumacher am Red-Bull-Ring oder das Finale in Silverstone wären über diese Länge früher nicht möglich gewesen. Das liegt an der Aerodynamik, aber auch an den Reifen. Die 18-Zoll-Reifen von Pirelli heizen nicht gleich auf, wenn das Auto mal rutscht. Es ist die Kombination aus weniger Rutschen und robusteren Reifen, die das Hinterherfahren deutlich vereinfachen.
Die 2022er Autos strahlen deutlich weniger Turbulenzen auf das nachfolgende Auto ab. Wenn es mal regnet, sieht man an der Gischt, dass sich die Luftwirbel anders als früher um das Auto herum verteilen. Es wird weniger Wasser nach außen, dafür hinter dem Auto mehr in die Höhe verdrängt. Die Fahrer spüren es. "Du verlierst immer noch Abtrieb, aber weniger als früher. Und der Abtriebsverlust ist berechenbarer geworden. Früher hast du nie gewusst, ob dein Auto hinter einem anderen unter- oder übersteuert. Heute weißt du es", erklärt Charles Leclerc.

DRS nicht mehr so wirkungsvoll
Lassen wir Zahlen sprechen. Miami als Neuling im Kalender sparen wir mangels Vergleichsdaten aus. In den restlichen zwölf Rennen wurde 435 Mal überholt. Im Schnitt 36,25 Mal pro Grand Prix. Ein Jahr zuvor oder im Fall von Melbourne und Montreal in der Saison 2019 gab es 353 Überholmanöver. Oder 29,41 im Schnitt. Das ist besser, aber kein Erdrutsch. In Imola, Barcelona, Baku und Paul Ricard sank die Zahl der Positionswechsel auf der Strecke sogar. In Montreal blieb sie gleich.
Dafür gibt es Gründe. Imola 2021 begann als Regenrennen und endete auf trockener Strecke. Das ist immer ein Nährboden für chaotische Rennen. Der GP Aserbaidschan des Vorjahres bot mit einer Safety-Car-Phase und dem Re-Start vor der letzten Runde viele Möglichkeiten für Überholmanöver. In Paul Ricard der Saison 2022 gingen 17 der 20 Fahrer mit der gleichen Reifenmischung ins Rennen. Gleiche Strategie inklusive. Außerdem herrschte auf der Mistral-Geraden viel weniger Gegenwind als im Jahr davor. Damit schwand der DRS-Effekt. Barcelona war mit 43:45 Überholmanövern nicht so viel schlechter als in der Vergangenheit.
Es gibt zwei Gründe, warum deutlich mehr Action auf der Strecke nicht in deutlich mehr Überholmanövern resultiert. DRS und der Windschatten sind nicht mehr so wirkungsvoll. Das muss nicht schlecht sein. Überholen soll eine Kunst bleiben. Die Überholchancen sind gestiegen, nicht der Vollzug. Hinderlich ist auch, dass das Feld mittlerweile in zu viele Einzelgruppen zersplittert ist. Damit gibt es weniger Autos, die potenziell gegeneinander fahren könnten. Da hat die Formel 1 ihr Ziel noch verfehlt. Obwohl den Ersten vom Letzten weniger Zeit trennt, sind in den einzelnen Gruppen zu wenig Autos auf dem gleichen Niveau.