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Williams-Teamchef James Vowles im Interview
„Dieses Team steckte im Überlebensmodus“

Ex-Mercedes-Strategiechef James Vowles ist seit Februar neuer Teamchef bei Williams. Wir sprechen mit ihm über die Kultur im Rennstall, notwendige Veränderungen und Aston Martin als Mutmacher.

James Vowles - Williams - GP Bahrain 2023 - Sakhir - Formel 1
Foto: xpb

Wie lange dauert es, bis Sie sich in Ihrem neuen Team zurechtfinden?

Vowles: Ich war bisher nur für lange Zeit bei einem Team tätig. Deshalb fällt es mir schwer, eine klare Antwort zu geben. Wir haben ein Team von 800 Leuten. Diese kennenzulernen und genau zu verstehen, was sie antreibt, was sie motiviert und was die Probleme sind – in Kombination mit den Rennen dazwischen: Da sprechen wir von drei oder mehr Monaten, die man insgesamt benötigt. Und ich wäre selbst enttäuscht, wenn ich in einem oder zwei Jahren nicht immer noch dazulernen würde.

Unsere Highlights

Bis 2017 war Williams in den Top 5. Ist es Ihnen wichtig zu verstehen, wieso es danach abwärts ging?

Vowles: Nein. Die Vergangenheit ist Vergangenheit. Es lässt sich auf eine Frage zurückführen: Wurde ausreichend Geld investiert, um mit den anderen mithalten zu können? Die Antwort lautet: Nein. Wenn man durch die Fabrik läuft, stellt man fest, dass es an Investitionen fehlte. Und wenn das passiert, verliert man den Draht zu dem, was gut ist, was herausragend ist, und was nicht mehr so gut läuft.

Was heißt das für Ihre Arbeit?

Vowles: Was mich stärker interessiert, sogar mein alleiniger Fokus ist: Wie kommen wir Stück für Stück von unten weg und werden zu einer realistischen Gefahr für jedes Team vor uns in der Startaufstellung? Dafür gibt es nicht die eine magische Lösung. Dafür muss jedes einzelne Teammitglied extrem hart arbeiten. Und wir müssen zwangsläufig mit höherer Schlagzahl Performance finden als die anderen. Dafür müssen wir nicht schauen, was 2016 oder 2018 war, sondern was wir heute vorfinden. Haben wir die Ressourcen, die Maschinen, die Systeme, die Strukturen, die Prozesse, die Software, die Leute? Wir müssen jeden dieser Bereiche stärken, die richtigen Elemente finden und sie an die passenden Stellen setzen.

Alexander Albon - Williams - GP Australien 2023 - Melbourne - Qualifikation
xpb
Williams hat zwar erst einen Punkt auf dem Konto, aber immerhin den Anschluss an das Feld hergestellt.

Wenn es Ihnen erlaubt gewesen wäre, eine Sache von Mercedes mitzunehmen: Was wäre das gewesen?

Vowles: Ich werde Ihre Frage beantworten, doch es fällt mir deshalb schwer, weil es nicht diesen einen Bereich bei Williams gibt. Ich würde definitiv sagen, dass der Bereich für die Verbundwerkstoffe über Jahre vernachlässigt wurde, was Investitionen anbetrifft. Aber diesen Bereich von Mercedes einfach transferieren? Ich denke, das wäre nur eine kurzfristige Lösung. Wir investieren besser in uns selbst für eine langfristige Lösung. Um auf Ihre Frage zurückzukommen, was ich gerne übertragen würde: Innerhalb von Mercedes gibt es die Kultur, dass es morgen nicht mehr gut genug ist, was du gestern oder heute gemacht hast. Man muss sich ständig an Veränderungen anpassen und sich weiterentwickeln – und zwar mit transparenten Methoden. Dieses kleine Stück Kultur würde ich gerne zu Williams bringen.

Wie ist die Kultur?

Vowles: Sie müssen sich nur mal in die Lage von Williams versetzen: Dieses Team steckte über Jahre in einem Überlebensmodus. Da beschäftigst du dich nicht mit dem, was in 12, 18 oder 24 Monaten ist. Du überlegst dir, was du morgen anstellen musst, um den Tag zu überstehen. An diesem Punkt stand das Team – nicht nur selbstverschuldet, sondern wegen fehlender Investitionen und anderer Dinge. Und diese Kultur, die ich gerade beschrieben habe: alles verändern, adaptieren, sich verbessern und vorangehen. Das ist eine unglaublich mächtige Kultur, weil du plötzlich aufhörst, an morgen zu denken, sondern dich darauf konzentrierst, was du tun musst, um in 12 oder 24 Monaten besser zu sein. Oder du sorgst dich nicht mehr ums Überleben, sondern um Evolution.

Kritiker sagen, Williams lebe in der Vergangenheit. Haben Sie diese Denke angetroffen?

Vowles: Das mag vielleicht eine Kultur gewesen sein, bevor ich dazugestoßen bin. Was ich seither sehe, sind viele Leute, die ihre Schultern und den Kopf oben tragen. Sie nehmen Herausforderungen an. Hier arbeiten manche Leute seit 30 Jahren. Das ist unglaublich für jedes Unternehmen weltweit. Solange man dazu bereit ist – und das ist größtenteils der Fall –, sich anzupassen, sich zu verändern und zu lernen, wird man nicht leiden. Diese Kultur ist notwendig. Es geht darum, dass wir neu bestimmen müssen, wo wir stehen, wo wir hinmüssen, und wie der Weg dorthin aussieht. Ich muss sicherstellen, dass jeder diese Reise mitgeht.

Macht es einen so großen Unterschied, wenn Windkanal und Simulation etwas veraltet sind? Sind nicht fähige Leute wichtiger als Werkzeuge?

Vowles: Ich denke, beides ist fundamental. Ein Beispiel: Es gibt bei Williams keine funktionstüchtige ERP Software (Enterprise Resource Planning). Mit diesem System trackst du Fahrzeugteile. Der Designer beendet seine Arbeit, die Komponente kommt ins ERP. Es folgt die Produktion, das Teil wird ans Auto geschraubt und wird womöglich später zerstört. Du brauchst dieses Trackingsystem, um zu verstehen, wo gewisse Teile sind. Nichts davon besteht bei Williams, aus dem Grund, weil nicht investiert wurde. Wenn du nicht weißt, wie es um deine Teile bestellt ist, kannst du in der Welt der Budgetdeckelung nicht effizient arbeiten. Und das ist die Grundlage.

Logan Sargeant - Williams - GP Australien 2023 - Rennen
xpb
Der Williams FW45 ist auf schnellen Kursen wie in Australien konkurrenzfähig.

Und die Mitarbeiter?

Vowles: Machen die Leute ein gutes Team? Absolut. Das wäre immer das Erste, was ich nennen würde. Wir haben gutes Personal bei Williams. Wir müssen es mit Expertise und Wissen von außen stärken. Nach dem Prinzip: So sieht Spitzenleistung aus, dort ist die Lücke und so schließen wir sie. Unsere Mitarbeiter brauchen aber auch die entsprechenden Einrichtungen, um Schritt halten zu können. Wenn du nicht alles selbstständig herstellen kannst und du etwas auslagern musst, kostet dich das nicht mehr denselben Preis, sondern das Doppelte oder Dreifache. Und es dauert länger. Normalerweise ist die Qualität dann auch eine andere. Wenn du es so angehst und die anderen es selbst produzieren, gibst du das Dreifache bei Teilen aus Verbundwerkstoffen aus. Das schränkt dich innerhalb des Budgetdeckels ein. Deshalb lässt sich nicht einfach sagen, es liegt an den Einrichtungen oder den Leuten. Beides ist wichtig. Beides müssen wir weiterentwickeln.

Bei Mercedes dürfen Sie vermutlich nicht wildern.

Vowles: Das ist richtig. Das ist aber nicht nur zwischen Mercedes und mir der Fall. Jeder, der ein Team verlässt, kann von dort nicht einfach Leute mitnehmen. Unter meinen speziellen Umständen kenne ich ein paar sehr intelligente Menschen aus anderen Organisationen, mit denen ich im Gespräch bin.

Ist das Budget Cap eine Chance, um aufzuholen?

Vowles: Mit dem derzeitigen Konstrukt nicht. Wir diskutieren das mit der FIA, der Formel 1 und den anderen Teams. Wenn wir eine Leistungsgesellschaft wollen, erlaubt mir doch bitte, das Geld auszugeben, das ich habe, um zumindest bei den Einrichtungen mit anderen Teams gleichzuziehen. Das ist die Möglichkeit, die sich innerhalb der Budgetdeckelung ergäbe. Wenn es allerdings so bleibt wie bisher, ist es nahezu unmöglich, aufzuholen. Wenn du zig Millionen reinstecken müsstest, diese Investitionsausgaben aber nicht zugelassen werden.

Nehmen wir an, Sie müssten einen neuen Windkanal bauen. Wie lange würde es dauern, bis Sie ihn gemäß der Regularien bauen dürften?

Vowles: Der Windkanal ist davon ausgenommen. Deshalb kann Aston Martin beispielsweise einen eigenen bauen. Das ist aber auch die einzige Ausnahme. Wenn man sich aber etwa einen Prüfstand für das Getriebe anschaffen möchte, würde es mit allen anderen Ausgaben, die man tätigen muss, drei bis vier Jahre dauern.

Alex Albon - Williams - GP Australien - Melbourne - 31. März 2023
xpb
Vowles fordert: Das Team soll 2023 lernen, um im nächsten Jahr weiter nach vorne zu kommen.

Könnten Sie uns bitte einen Zeitrahmen geben, was Sie mit Williams vorhaben?

Vowles: In diesem Jahr geht es darum, aus jedem Rennen mehr herauszuziehen. Das Auto hat gewisse Stärken. Das sind dieselben wie im letzten Jahr. Auf gewissen Strecken werden wir damit ziemlich konkurrenzfähig sein, und auf anderen leiden. Ich habe dem Team den Auftrag gegeben, an Rennwochenenden, bei denen wir nicht unbedingt um viele Punkte kämpfen, weiter zu lernen. Wir sollten zum Beispiel nicht dasselbe mit beiden Autos machen, damit wir nach dem Rennen mehr über das Chassis und die Aerodynamik verstehen.

Ich denke, das hat bis jetzt ganz gut funktioniert. Von den Testfahrten zum ersten Rennen sind wir einen Schritt bei der Performance gegangen. Von Bahrain bis Saudi-Arabien haben wir einen weiteren kleinen Schritt gemacht. Und von Saudi-Arabien bis Australien den nächsten. Das Team leistet gute Arbeit darin, sich selbst herauszufordern, was es vorher und danach über das Auto weiß. Und es fordert sich dahingehend heraus, was wir bei der Weiterentwicklung ans Auto bringen müssen. Diese Kultur, dieses Ethos ist ziemlich wichtig. Wir müssen die Schlagzahl für die kommenden Jahre erhöhen.

Und für die Zukunft?

Vowles: Worum es hauptsächlich für uns im verbleibenden Jahr geht, ist uns für 2024 bestmöglich aufzustellen. Alle Methoden, Systeme und Grundlagen, die wir einführen, sind darauf ausgerichtet, bei der Leistung von 2024 keine Kompromisse zu machen. Und das ist der Wind, der durch die Organisation weht. Wenn es einen Punkt gibt, den wir einsammeln können, müssen wir unser Äußerstes dafür geben. Auf Strecken, auf denen wir konkurrenzfähig sind, müssen wir alles bereitstellen. Auf anderen müssen wir herausfinden, wie wir besser werden können. Ansonsten müssen wir uns mit allem auf 2024 konzentrieren.

Es sieht danach aus, dass für die zweite Gruppe im Feld jeder Punkt wie ein Sieg sein kann. Weil es fünf Autos gibt, die schneller sind. Sehen Sie das auch so?

Vowles: Ich sehe das auch so. Aber ich würde immer noch dabei bleiben, dass ich dieses Jahr lieber wegwerfe, um eine gute Grundlage für das nächste Jahr zu haben. Und ich würde auch eher 2024 opfern, um noch bessere Grundlagen für 2025 zu haben. Wenn Sie sich nur auf das Jetzt stürzen, verbleiben Sie auch dort. Ich will mit diesem Team nicht Siebter, Achter oder Neunter sein. Ich will weiter nach oben. Um das zu schaffen, braucht es radikale wie bedeutsame Entscheidungen. Das machen wir.

Sie waren über Jahre der Chefstratege bei Mercedes. Fällt es Ihnen schwer, sich nicht in die Strategie bei Williams einzumischen?

Vowles: Ich denke, das würde es, hätte ich nicht schon vorher den Absprung bei Mercedes geschafft. Wie Sie wissen, habe ich bei Mercedes in den letzten drei Jahren ein Team herangezogen, das von Rennen zu Rennen gelernt hat. Vor meiner finalen Entscheidung hatten sie bereits die harte Vorarbeit erledigt. 2022 war ich nur noch der Leiter, der sichergestellt hat, dass alles zielgerichtet verläuft. Im zweiten Jahresteil saß ich nicht mal mehr am Kommandostand. Da schlüpfte ich in eine andere Rolle. Das hat mir die richtige Herangehensweise für den neuen Job gegeben. Wir haben ein gutes Strategieteam bei Williams. Wir haben bis jetzt jeden Punkt mitgenommen, der verfügbar war. Außer, es kamen andere Umstände dazwischen. Ich bin also ziemlich entspannt und in einer komfortablen Situation, aufgrund des Übergangs bei Mercedes, und weil ich hier gute Qualität vorgefunden habe.

James Vowles - GP Saudi-Arabien 2023
Williams
Der Ex-Mercedes-Chefstrategie führt seit Februar den Traditionsrennstall an.

Ist der große Sprung von Aston Martin ein Ansporn für ein Team wie Williams?

Vowles: Zu 100 Prozent. Das zeigt, was mit der richtigen Struktur möglich ist. Ich denke, sie haben ein paar schlaue Schachzüge getätigt, sich Wissen aus verschiedenen Richtungen einzuverleiben. Dieses Team war ein gutes Team, das jetzt so aufgebaut wurde, um in die Top 3 vorzudringen. Das macht mir Mut, dass wir dasselbe schaffen können.

Wir waren etwas überrascht, dass Williams 800 Mitarbeiter beschäftigt. Wäre es nicht besser, weniger Angestellte zu haben, zum Beispiel 700, um Spielraum für Topingenieure zu schaffen – oder Aufstiegschancen (Gehaltserhöhungen) leichter zu ermöglichen?

Vowles: Es hängt davon ab, was die 800 Leute machen, und wie effizient sie innerhalb des Budgetdeckels arbeiten. Darum geht es, um die Effizienz. Ich denke nicht, dass wir besonders clever bei der Ausarbeitung des Cost Caps waren. Wir befinden uns in einem Prozess, das zu verändern. Die Anzahl der Mitarbeiter fällt darauf zurück. Um Ihre Frage zu beantworten: Es gibt verschiedene Modelle. Wenn Sie sich aber die Topteams – Red Bull, Mercedes und Ferrari – anschauen: Sie beschäftigen viele schlaue Leute. Danach streben Sie.

Aber die Topteams haben wegen ihrer Politik auch gute Ingenieure verloren, weil sie ihnen nicht mehr Geld anbieten konnten.

Vowles: Das haben sie. Und hoffentlich finden ein paar davon den Weg zu uns.

Muss Williams in Zukunft unabhängiger werden – also nicht mehr nur Kunde von Mercedes sein? Müssen Sie irgendwann wieder ein eigenes Getriebe bauen?

Vowles: In unserem Sport ist das Getriebe sehr zuverlässig geworden. Es erfüllt seine Aufgabe. Über diesen Grad an Unabhängigkeit sorge ich mich also nicht unbedingt. Aston Martin beweist gerade, dass es darum nicht geht. Mercedes stellt hohe Qualität zur Verfügung. Du musst noch die Kontrolle darüber haben, wo du mit deinem Aerodynamik-Paket hinläufst. Und in welche Richtung du marschierst. Mercedes stellt uns eine sehr gute Power Unit. Wir müssen unsere Zeit in andere Bereiche investieren: Aerodynamik, Fahrdynamik und so weiter. Das können wir.

Das Getriebe beeinflusst aber auch die Aerodynamik.

Vowles: Das stimmt. Zwei der Topteams fahren aber mit demselben Getriebe. Es ist wahrscheinlich okay, und kein limitierender Faktor.

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