Mythos Ferrari in der Formel 1: Rot für die Welt

Mythos Ferrari in der Formel 1
Rot für die Welt

1000. GP
Veröffentlicht am 06.01.2019

In Bernie Ecclestones Büro gab es nur einen Fingerzeig auf das Reich, in dem er so lange regiert hat. Das Bild zeigt Enzo Ferrari. Bernie bringt seine Verehrung kurz und bündig auf den Punkt: „Er ist für mich Mister Motorsport.“

Der Mythos lebt. Auch 30 Jahre nach dem Tod des Firmengründers. Auch ohne WM-Titel. Auch in der Krise. Oder vielleicht gerade deshalb. Es gibt viele Gründe, warum Ferrari eine Legende ist, warum man sich Rennsport ohne die Marke aus Maranello nicht vorstellen mag, warum die Farbe Rot auf untrennbar mit dem Rennstall der Herzen verbunden ist. Der charismatische Firmengründer. Die Ausdauer von Anfang an dabei zu sein, in schlechten wie in guten Zeiten. Die Arroganz einer Diva, die weiß, dass sie etwas Besonderes ist und das die Welt auch spüren lässt. Die Aura von 15 Fahrer-Weltmeisterschaften, 16 Konstrukteurs-Titeln, 235 GP-Siegen, neun Erfolgen in Le Mans, acht bei der Mille Miglia, sieben bei der Targa Florio und zwei bei der Carrera Panamericana.

Rennautos gehören auf die Rennstrecke

Aber es sind nicht nur die Siege, die Ferrari in allen Kulturen zur Religion machen. Die Niederlagen haben das springende Pferd und ihre Anhänger noch stärker zusammengeschweißt. Je größer der Leidensdruck, umso inniger die Verehrung. Die automobile Hinterlassenschaft der Firma ist nicht komplett. Enzo Ferrari versäumte es, seine Autos zu sammeln. In der Begründung spiegelt sich das überhebliche Selbstverständnis des Firmengründers wider: „Rennautos gehören auf die Rennstrecke, nicht ins Museum.“

Enzo Ferrari - 1988
Wilhelm

Ferrari schaltet keine Anzeigen, dreht keine TV-Spots. Immerhin ist man auf den sozialen Netzwerken unterwegs. Die Werbeplätze sind die Rennstrecken dieser Welt. Wer aber auf einem Ferrari werben will, zahlt den doppelten Preis. Und muss sich dem Farbcode anpassen. Viel Rot, ein bisschen weiß. Historiker werden einwerfen, dass Ferrari auch schon in Weiß und blau gefahren ist, in diesem Outfit 1964 sogar mit John Surtees die Weltmeisterschaft gewonnen hat. Korrekt. Enzo Ferrari protestierte.

Der alte Herr war schnell beleidigt und ließ das seine Umwelt auch spüren. Damals vor 55 Jahren hatte der italienische Automobilverband seinem 250LM die Homologation als GT-Rennwagen verweigert. Enzo Ferrari überreichte den Funktionären seine Teilnehmerlizenz und trat bei den letzten Grand Prix 1964 unter der Bewerbung des North American Racing Teams an. Die Wut der Anhänger richtete sich auf den Verband. Genauso hatte es der Firmenpatriarch beabsichtigt.

Rückzug als Instrument der Erpressung

Wenn BMW, Renault, Honda oder Toyota aus der Formel 1 aussteigen, dann ist das nach einer Woche vergessen. Wenn Ferrari nur damit droht, löst das ein Erdbeben in der Szene aus. Der einsame Commendatore wusste das Instrument der Erpressung gerne zu nutzen. Als Niki Lauda 1976 am Nürburgring verunglückte und zwei Entscheidungen der Sportbehörde WM-Gegner McLaren in die Karten spielten, da verzichtete Ferrari auf einen Einsatz beim GP Österreich. Der kleine Warnschuss blieb nicht ohne Wirkung. James Hunt wurde nachträglich wegen eines Regelverstoßes beim GP England disqualifiziert und Lauda zum Sieger erklärt.

Ferrari war von Anfang an dabei, hat aber nicht an allen Rennen teilgenommen. Von insgesamt 997 Grand Prix seit 1950 hat der berühmteste Rennstall der Welt 970 bestritten, 235 gewonnen, 219 aus der Pole Position gestartet, bei 248 die schnellste Rennrunde gedreht, 14.737 Runden geführt und hat 8.656,6 Punkte gesammelt. Damit haben wir den statistischen Teil des Motorsportwerks elegant auf einen Satz verdichtet. Der Startschuss fiel erst beim zweiten Rennen der Königsklasse, dem GP Monaco 1950. Angeblich konnte man sich mit Silverstone, dem Geburtsort der Formel 1, nicht auf ein Startgeld einigen. Wie viel daran Legende und Wahrheit ist, lässt sich nicht überprüfen. Die Geschichte könnte aber stimmen, weil sie zu Ferrari passt. Der alte Herr war schon immer etwas eigen.

Bitterer Lorbeer in der Saison 1958

Das erste Jahrzehnt der Formel 1 brachte Ferrari vier Titel. Nachdem man das große Duell gegen Alfa Romeo 1951 knapp verloren hatte, spielte das Reglement Ferrari in den zwei folgenden Jahren einen Steilpass zu. Die Formel 1-WM wurde für Formel 2-Fahrzeuge ausgeschrieben. Ferrari hatte mit dem Tipo 500 das beste Auto dieser Klasse in seinem Portfolio. Alfa Romeo trat zurück, und Maserati wachte zu spät auf. Alberto Ascari gewann beide Meisterschaften im Alleingang. Dann kamen die 2,5 Liter-Formel, Mercedes und Juan-Manuel Fangio und deutsche Gründlichkeit, und Ferrari fuhr hinterher. 1956 machte Ferrari reiches Erbe. Von Lancia das Auto, von Mercedes den Fahrer. Juan-Manuel Fangio fuhr auf dem modifizierten Lancia D50, der offiziell Ferrari 801 heißen musste, zu seinem vierten Titel. Doch der Maestro wurde mit Ferrari nicht warm. Wie auch. Es konnte nur eine Ikone im Team geben. Fangio vermutete eine Bevorzugung seiner italienischen Teamkollegen Luigi Musso und Eugenio Castellotti und verließ zermürbt von den politischen Winkelzügen im Untergrund das Team. Sein gekränkter Arbeitgeber keifte ihm hinterher: „Er litt unter einem seltsamen Verfolgungswahn.“

Alberto Ascari - Ferrari 625 - GP Italien 1954
Julius Weitmann/Motor Presse Stuttgart

Die nächsten beiden Weltmeisterschaften waren bitterer Lorbeer. Mike Hawthorn durfte sich 1958 bei der Zuverlässigkeit seines Dino 246F1 und treuen Diensten seines Teamkollegen Phil Hill bedanken. Der Engländer gewann nur ein Rennen. Seine Ferrari-Stallkollegen Luigi Musso und Peter Collins starben in dieser unheilvollen Saison auf der Rennstrecke, Hawthorn nur 95 Tage nach seinem Rücktritt bei einem Verkehrsunfall.

Ferrari nominierte für 1960 Phil Hill und Wolfgang Graf Berghe von Trips, verschlief aber eine Trendwende. Obwohl Cooper-Climax mit dem Mittelmotorkonzept längst reüssiert hatte, hielt Ferrari noch eisern am Frontmotor fest. Keine Überraschung bei einer Firmenphilosophie, die den Motor über alles stellte. Vorne, hinten, egal wo. Ein Auto gewinnt keine Rennen. Die 1961 neu eingeführte 1,5 Liter Formel brachte Ferrari zurück ins Geschäft. Weil diesmal die Engländer geschlafen hatten. Sie wollten lange nicht wahrhaben, dass die FIA auf die Schmalspur-Motoren setzt. Ferrari hatte mit dem Tipo 156 das überlegene Auto und den besten Motor. Am Tag, der den König krönen sollte, passierte die Katastrophe. Graf Trips fand in Monza zusammen mit 14 Zuschauern den Tod. Teamkollege Phil Hill machte das Rennen.

Streit mit Surtees kostet 1966 den Titel

Trotzdem blieb bei Ferrari kein Stein auf dem anderen. Sechs Ingenieure und Rennleiter Romolo Tavoni verließen nach einem Streit mit Enzo Ferrari das Team und stürzten sich in ein Projekt mit dem Namen A.T.S. Die Revolte führte dazu, dass Ferrari nur mit einem modifizierten 156 in die Saison 1962 starten konnte. Neben Titelverteidiger Hill fuhren die Jungstars Giancarlo Baghetti und Ricardo Rodriguez. Später stieß Lorenzo Bandini hinzu. Ferrari spielte im Titelkampf keine Rolle, blieb sogar ohne Sieg. 1963 verließ auch Phil Hill das sinkende Schiff: „Es war die schlechteste Entscheidung meines Lebens“, gab der Amerikaner rückblickend zu. „Aber die Trennung musste sein. Ich war nicht der Typ Fahrer, den Enzo Ferrari liebte. Der Commendatore wollte Piloten, die bereit waren in seinen Autos zu sterben und deshalb mehr Risiko in Kauf nahmen. Ich wollte aber nicht für ihn sterben.“

John Surtees - Ferrari - 24h Le Mans 1965
Julius Weitmann/Motor Presse Stuttgart

Ferrari hatte bereits Ersatz gefunden. Ex-Motorradchampion John Surtees und Mauro Forghieri, der neue Stern am Konstrukteurshimmel, brachten Ferrari 1964 wieder auf Vordermann. Das Modell 158 mit dem 1,5 Liter V8 hielt mit der englischen Konkurrenz von B.R.M. und Lotus erstaunlich gut mit. Der Dreikampf um den Titel zwischen John Surtees, Jim Clark und Graham Hill ging am Ende überraschend und auch etwas glücklich zugunsten von Ferrari aus. Ausschlaggebend war eine starke zweite Saisonhälfte. Ferrari hatte rechtzeitig vor dem GP Deutschland ein Problem mit der Einspritzung an dem 220 PS starken V8 gelöst.

Im ersten Jahr der Dreiliter-Formel 1966 hatte Ferrari mit dem Modell 312 das schnellste Auto im Feld und den nächsten WM-Titel eigentlich auf dem Fuß. Doch Maranello schoss sich ein klassisches Eigentor. Rennleiter Eugenio Dragone verkrachte sich mitten in der Saison mit John Surtees. Nach der Trennung war keiner mehr da, der die Erfahrung hatte, das zunächst kritische Fahrzeug weiterzuentwickeln. „Das Problem von Ferrari zu jener Zeit war, dass Le Mans immer Vorrang hatte. Erst danach kümmerte man sich um die Formel 1. Enzo Ferrari war 1966 zu beschäftigt, um mir Rückendeckung zu geben. Er verhandelte gerade mit Ford und Fiat, Teile seiner Firma zu übernehmen“, erinnert sich Surtees.

Niki Lauda als Messias und Judas

Ferrari fiel in eine lange Depression. Teilweise war das Geld so knapp, dass nur ein Auto am Start stand. Oder die Ergebnisse waren so schlecht, dass der Chef eine Auszeit anordnete, in der Hoffnung, den Ingenieuren falle etwas ein. Nach dem Feuertod von Lorenzo Bandini 1967 in Monte Carlo stand Ferrari in der Kritik. Man rechnete dem Rennstall vor, dass mehr Rennfahrer in einem Ferrari gestorben wären als in allen anderen Autos. Lapidare Antwort: „Wir stehen auch öfter am Start als andere.“

Erst 1970 war man mit dem 312B wieder in der Lage, regelmäßig Rennen zu gewinnen. Der Zwölfzylinder mit einem Bankwinkel von 180 Grad kam später auch im Sportwagenmodell 312PB zum Einsatz. Doch wie so oft erfolgte der Angriff von Jacky Ickx zu spät. Nach dem kurzen Zwischenhoch ging es mit Ferrari wieder bergab. Mauro Forghieri wurde vorübergehend in die Wüste geschickt. Aus lauter Verzweiflung ließ man die Autos 1973 sogar in England bauen. Mit wenig Erfolg. Erst als Ferrari den Agnelli-Zögling Luca di Montezemolo als Rennleiter installierte, Forghieri aus der Verbannung zurückholte und mit Niki Lauda und Clay Regazzoni eine schlagkräftige Fahrerpaarung anheuerte, ging es mit dem angeschlagenen Dinosaurier wieder bergauf.

Niki Lauda - Ferrari - James Hunt - McLaren - Zolder 1977
sutton-images.com

Den WM-Titel 1974 verfehlte Regazzoni nur um drei Punkte. Lauda war der schnellste Mann der Saison, scheiterte aber an acht Ausfällen bei 15 Einsätzen. Dann kam die Baureihe 312T mit einem querliegenden Getriebe vor der Hinterachse. Ferrari machte wieder die Musik. Lauda wurde 1975 und 1977 Weltmeister, und er wäre es auch 1976 geworden, wäre ihm nicht der Unfall auf dem Nürburgring dazwischengekommen. Ende 1977 sagte Lauda „Ciao“ und erntete von Enzo Ferrari den bösen Nachruf: „Lauda hat sich wie Judas für ein paar Stangen Salami an die Konkurrenz verkauft.“ Es passte nicht in sein Weltbild, dass ihm ein Fahrer kündigt. Normalerweise war es anders herum. Das T-Modell wurde weiter modifiziert und sah 1979 wie eine Badewanne auf Rädern aus. Obwohl Forghieri wegen des breiten Motors das gewinnbringende Groundeffect-Prinzip im 312T4 nur zum Teil umsetzen konnte, wurde Jody Scheckter Weltmeister. Motorleistung und Standfestigkeit kompensierten ein letztes Mal eine nicht ganz perfekte Aerodynamik.

Auf dem Schleudersitz in Maranello

Scheckter erntete den Lorbeer, sein Teamkollege Gilles Villeneuve die Sympathien der Fans. Selten wurde ein Ferrari-Fahrer so verehrt, selten durfte ein Ferrari-Fahrer über das Team hinaus strahlen. Villeneuve hatte auch beim Firmenchef einen Stein im Brett. „Er war eine Kämpfernatur. Man musste ihn einfach gern haben“, schrieb Ferrari in seinem Buch „Piloti, che gente“. 1981 stieg Ferrari als zweiter Hersteller nach Renault in die Turbo-Ära ein. Der V6-Turbo mit der Seriennumer 030 war auf Anhieb so gut wie das Triebwerk von Turbo-Pionier Renault. 1982 hätte mit dem Typ 126C2 wieder ein Ferrari-Jahr werden können, doch das Schicksal schlug mit zwei schweren Unfällen grausam zu. Gilles Villeneuve starb im Abschlusstraining zum GP Belgien. Stallrivale Didier Pironi fügte sich in Hockenheim so schwere Beinverletzungen zu, dass die Karriere beendet war. Obwohl der Franzose die letzten fünf Rennen ausließ, beendete er das Jahr noch als WM-Zweiter, nur fünf Punkte hinter Weltmeister Keke Rosberg.

Keiner ahnte nach Scheckters Titelgewinn 1979, dass auf die Tifosi 21 schwere Jahre zukommen würden. 21 Jahre ohne einen Weltmeister im roten Auto. Mit sieglosen Saisons wie 1980, 1986, 1991, 1992 und 1993. Mit immerhin drei Konstrukteurs-Titel 1982, 1983 und 1999, die der geschwundenen Seele ein wenig Genugtuung verschafften, aber doch kein Ersatz für das waren, was sich über zwei Jahrzehnte zum Trauma auswuchs. Ferrari-Rennleiter Jean Todt gab nach dem Titelgewinn 2000 zu: „Hätten wir die Meisterschaft in diesem Jahr wieder nicht geschafft, wäre Ferrari explodiert.“

Doch bevor der frühere Rallye-Beifahrer und langjährige Peugeot-Rennleiter 1993 auf Empfehlung von Bernie Ecclestone und Niki Lauda sein Amt antrat, musste Maranello noch einige dunkle Stunden überstehen. Am 14. August 1988 starb Enzo Ferrari im Alter von 90 Jahren. Danach gaben sich Rennleiter und Technikchefs in Halbjahresintervallen die Klinke in die Hand. Die Ämter wurden zum Schleudersitz. Der Versuch von Fiat, eigene Manager einzuschleusen, ging grandios schief. Genauso wie die Verpflichtung der damaligen Technik-Koryphäe John Barnard. Ferrari baute dem eigenwilligen Engländer, der partout nicht nach Italien ziehen wollte, im Verlauf von sieben Jahren zwei Dependancen in England. Das Modell war ein Reinfall, weil das Team in zwei Fraktionen zerfiel. Barnard gegen den Rest.

Jean Todt ordnete das Chaos

Es musste erst Jean Todt kommen, um das Chaos zu ordnen. Der Franzose heuerte im Doppelpass-Spiel mit dem neuen Präsidenten Luca di Montezemolo den damals noch zweifachen Weltmeister Michael Schumacher an, die Benetton-Ingenieure Ross Brawn und Rory Byrne, er schwor endlich dem Zwölfzylinder ab und ersetzte ihn durch die kompaktere V10-Lösung, er führte klare Hierarchien, industrielle Arbeitsprozesse und Disziplin in die heiligen Hallen ein. Und Todt war so gut mit dem Weltverband vernetzt, dass er die besten Bedingungen für Ferrari durchsetzte.

Michael Schumacher - Jean Todt - Ferrari
Wilhelm

Als Mercedes mit dem Einsatz von Beryllium-Kolben den stärksten Motor baute, wurde Beryllium auf Betreiben von Ferrari verboten. Als Michelin mit Reifen auftauchte, bei denen sich nach einer gewissen Abnutzung die Lauffläche verbreitete, musste der Reifenlieferant der Konkurrenz zurückrudern. Und als man 1999 selbst in den Verdacht geriet, mit illegalen Leitblechen gefahren zu sein, da machten Ferraris Juristen die Disqualifikation beim GP Malaysia mit einer trickreichen Beweisführung ungeschehen.

Todt, Schumacher, Brawn, Byrne und Motorenmann Paolo Martinelli waren eine verschworene Gemeinschaft. Sie wurde fünf Jahre auf den Prüfstand gestellt. So lange dauerte es, bis endlich das Ziel erreicht war. 1997, 1998 und 1999 verlor man die WM erst im letzten Rennen. Mit einer Kollision, einem Reifenplatzer und dem falschen Mann im Titelrennen. Nach Schumachers Beinbruch in Silverstone musste Ferrari alle Karten auf seinen Wasserträger Eddie Irvine setzen. Der Nordire hatte gegen Mika Häkkinen im entscheidenden Duell keine Chance.

Todt stand zwei Mal auf der Abschussliste, und wurde jedes Mal von Schumacher gerettet. Der Hoffnungsträger im Cockpit drohte Ferrari, gleich mit zu gehen. Erst der Ferrari F1-2000 erlöste das Team von der Schmach des ewigen Zweiten. Auch die Saison wurde zur Zitterpartie. Weil das Auto bei Hitzerennen seine Reifen fraß. Erst eine Modifikation der Hinterachse schaffte das Problem aus der Welt. Schumacher schlug seinen WM-Rivalen Mika Häkkinen im direkten Duell in Suzuka. Den Funkspruch von Ross Brawn, als Schumacher nach dem letzten Boxenstopp vor Häkkinen auf die Strecke zurückkehrte, hat man auf einem Tonträger verewigt: „It‘s looking good, Michael. It‘s looking bloody good.“

Die goldenen 2000er Jahre

Danach hatten Ferrari und Michael Schumacher ein Abonnement auf den Titel. Die Kombination gewann fünf Weltmeisterschaften in Folge, drei Mal so überlegen, dass die Saison bei Halbzeit praktisch schon gelaufen war. Unter den Unschlagbaren stachen die Modelle F2002 und F2004 besonders hervor. Mit 262 WM-Punkten hamsterte der F2004, intern auch unter seiner Chassisnummer 654 bekannt, mehr WM-Punkte als seine roten Brüder davor. Mit jeweils 15 Saisonsiegen lagen die beiden Erfolgsmodelle gleichauf. Chefdesigner Rory Byrne gibt trotzdem dem Jahrgang 2002 den Vorzug: „Über die gesamte Saison gesehen demonstrierte der F2002 die größere Überlegenheit. Das hätte sich auch in den Punkten besser ausgedrückt, wäre Barrichello nicht drei Mal vor dem Start stehengeblieben.“

Im Jahr 2005 kam Ferraris Erfolgsmaschinerie ins Stocken. Man hatte sich ein Eigentor geschossen, weil man einer Regeländerung zustimmte, die Reifenwechsel während des Rennens verbot. Im Glauben, Reifenpartner Bridgestone hätte damit noch bessere Karten. Das Gegenteil traf ein. Michelin baute die haltbareren Sohlen. Renault-Pilot Fernando Alonso unterbrach die Siegesserie. Ein Jahr darauf stand der Spanier den Roten erneut vor der Nase. Schumachers achter WM-Titel scheiterte an einem Motorschaden in Suzuka.

Der Fall des Imperiums

Dann zerbrach das Dreamteam. Zuerst hörte Schumacher auf, dann Ross Brawn und schließlich gab Jean Todt den Rennleiterposten an seinen Teammanager Stefano Domenicali ab. Nicht ohne 2007 mit Kimi Räikkönen noch einmal einen WM-Titel für Ferrari zu feiern. Den bislang letzten. Felipe Massa verfehlte ihn 2008 um einen Punkt. Fernando Alonso 2010 und 2012 um vier und um drei Zähler. Seit 2009 baut Ferrari keine Weltmeister-Autos mehr. Dass man trotzdem noch zwei Mal vom Titel träumen durfte, war der Verdienst von Alonso.

Mit den Niederlagen setzte auch wieder die alte Sprunghaftigkeit ein. 2011 trennte man sich von Technikchef Aldo Costa. Der Italiener baute danach für Mercedes die besten Autos im Feld. 2014 musste Domenicali gehen. Er wurde durch Marco Mattiaci ersetzt, der aber nach nur 220 Tagen aus dem Chefbüro komplimentiert wurde. Ferrari zauberte daraufhin den früheren Marlboro-Marketingmanager Maurizio Arrivabene aus dem Hut. Auch Motorenchef Luca Marmorini, Technikchef Pat Fry und Chefdesigner Nikolas Tombazis verloren ihre Jobs. James Allison kam 2013 als Erlöser und wurde drei Jahre später vom Hof gejagt. Das Eigengewächs Mattia Binotti führt jetzt Regie im Technikbüro. Luca di Montezemolo hat die Ära der Enttäuschungen ebenfalls nicht überstanden. Fiat-Chef Sergio Marchionne setzte den charismatischen Präsidenten vor die Tür und spielte bis zu seinem überraschenden Tod im Juli 2018 selbst den starken Mann im Team. Mit wenig Zuckerbrot und viel Peitsche. Das hat bei Ferrari noch nie funktioniert.

Kann Vettel die Schumi-Ära wiederholen?

Fernando Alonso verließ Ende 2014 das sinkende Schiff. Sebastian Vettel kam mit dem Ziel, ein zweites Kapitel Schumacher aufzuschlagen. Die erste Saison mit drei Siegen und dem dritten Platz in der WM versprach Hoffnung. Im zweiten ist Vettel hart gelandet. Kein einziger Sieg, Wie 1950, 1957, 1962, 1965, 1967, 1969, 1973, 1980, 1981, 1986, 1991, 1992, 1993 und 2014. Dann folgten zwei Saisons der Hoffnung. Bis zur Sommerpause 2017 und 2018 sah Vettel wie ein möglicher Weltmeister aus. Dann stolperte Ferrari über hausgemachte Probleme.

Der Ex-Champion wirkt angeschlagen. Vettel dämmert, dass die Krise bei Ferrari nicht über Nacht lösbar ist, weil sie tief in den Wurzeln sitzt. Das Team hat eine labile Führung, ein schlechtes Krisenmanagement, keine Struktur und manchmal auch keinen Plan. Immerhin liefert das Technikbüro in den letzten Jahren siegfähige Autos ab. Formel 1-Chef Ross Brawn glaubt, dass der WM-Titel in den letzten beiden Jahren verschleudert wurde: „Vettel hat nicht alle Rennen gewonnen, die er hätte gewinnen müssen. Und er hat im Gegensatz zu Hamilton auch nicht bei den Rennen gewonnen, bei denen er nicht Favorit war.“ Vettel lässt sich dennoch nicht beirren: „Es bewegt sich in die richtige Richtung, aber es geht nicht über Nacht. Manche Dinge brauchen halt Zeit.“

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