Es gibt Jahre in der Formel 1, da passiert nicht viel. Und dann wieder alles auf einmal. In die Saison 2021 packte die Regie alles, was man sich für eine anständige Seifenoper ausdenken kann. Und manchmal noch ein bisschen mehr: Kollisionen, Disqualifikationen, Strafen, kurzfristige Regeländerungen, Politik im Hinterzimmer, Unfälle, Rennabbrüche, dazu das perfekte Duell zwischen dem König und dem Kronprinzen, das zufällig auch noch in der allerletzten Runde entschieden wurde. Als hätte es einer so inszeniert.
Nach einer Vorgeschichte, die so viele Höhepunkte und einen Punktegleichstand vor dem Finale produzierte, musste diese Saison einfach so zu Ende gehen. Eine Zieldurchfahrt hinter dem Safety-Car wäre aus dramaturgischer Sicht wie ein Witz ohne Pointe gewesen. Wahrscheinlich war es auch der stille Wunsch der Serienbetreiber, dass sich die Saison mit einem Knalleffekt in die Winterpause verabschiedet. Das mag dazu geführt haben, dass sich Rennleiter Michael Masi dazu bemüßigt fühlte, die Safety-Car-Phase unter allen Umständen eine Runde vor Schluss zu beenden.
Es war nicht die einzige Kontroverse in einer Saison, die viele als die beste aller Zeiten bezeichneten. Nur kurz zur Erinnerung: Rote Flagge in Imola, die Hamilton eine Runde schenkt. Rote Flagge zwei Runden vor Schluss in Baku, die nur dazu da war, das Rennen noch einmal spannend zu machen. Die Kollisionen von Hamilton und Verstappen Silverstone und Monza. Die Startkarambolage in Ungarn mit einem Re-Start, bei dem Hamilton als Einziger auf dem Startplatz steht.
Die Regen-Farce von Spa, die nur halbe Punkte brachte. Der späte Regen von Sotschi, der Norris den Sieg klaut und ihn Hamilton schenkt. Brasilien mit der Disqualifikation von Hamilton am Freitag und zwei Aufholjagden im Sprint und im Rennen. Zwei roten Flaggen und ein Auffahrunfall der WM-Gegner in Saudi-Arabien. Dazu immer wieder Diskussionen um Verstappens wilde Fahrweise.

Der erste Skandal: Mexiko 1964
Manche fragten sich am Ende, ob die Formel 1 mit ihrem Finale furioso nicht den Bogen überspannt hat. Bernie Ecclestone hätte geantwortet: "Jede Schlagzeile ist gut für das Geschäft." Tatsächlich haben Kontroversen der Königsklasse noch nie geschadet. Im Rückblick ist es doch so, dass man sich zuerst immer an die Jahre erinnert, in denen es drunter und drüber gegangen ist.
Es dauerte immerhin 14 Jahre, bis in der Formel 1 so etwas wie ein Skandal passiert ist. 1964 gingen John Surtees, Jim Clark und Graham Hill mit WM-Chancen in das Finale von Mexiko. Clark fiel in den letzten Runden mit technischen Problemen zurück. Surtees wurde Weltmeister, weil sein Ferrari-Teamkollege Lorenzo Bandini mitten im Rennen Graham Hill von der Bahn geschoben hatte.
Hill reagierte übrigens viel souveräner als Hamilton, der sich seit dem GP Abu Dhabi in der Opferrolle gefällt und sich rar gemacht hat. Der Champion von 1962 und 1968 schenkte Bandini zu Weihnachten ein Buch mit dem Titel: "So lerne ich Autofahren".
Eine der skandalträchtigsten WM-Stories war das Duell zwischen Niki Lauda und James Hunt in der Saison 1976. In Jarama wurde Sieger Hunt disqualifiziert, weil sein McLaren um 1,8 Zentimeter zu breit war. Zwei Monate später kaufte sich McLaren mit 3.000 Dollar Strafe frei. Hunt bekam die neun Punkte zurück.
Beim GP England wurde der Engländer in eine Startkollision verwickelt. Die Rennleitung brach das Rennen ab, doch Hunt schaffte nicht mehr aus eigener Kraft den Weg zurück an die Boxen. Damit war er faktisch ausgeschieden. Bis zum Re-Start reparierte McLaren das Unfallauto. Hunt trat trotzdem an und gewann. Zwei Monate später war er seinen Sieg wieder los. Ferrari hatte mit Rückzug gedroht, wenn Hunt auch dieser Sieg geschenkt worden wäre. Dazu kamen Laudas Unfall am Nürburgring, das Comeback in Monza, die Aufgabe in Fuji. Das war genug Stoff für Hollywood.

Kollision als letztes Mittel
Auch 1982 war ein Jahr der Widersprüche, Dramen und Streitigkeiten. Es begann mit einem Fahrerstreik in Kyalami. Dann die Disqualifikation der beiden Erstplatzierten Nelson Piquet und Keke Rosberg in Brasilien. In Imola standen wegen eines Boykotts der englischen Teams nur 14 Autos am Start.
Gilles Villeneuve starb in Zolder, Riccardo Paletti in Montreal, und Didier Pironis Karriere endete mit einem schweren Unfall im Training zum GP Deutschland. Bei Renault kam es zum Hauskrach zwischen Alain Prost und René Arnoux. Es gab elf verschiedene Sieger und mit Keke Rosberg einen Weltmeister, der nur ein einziges Rennen gewonnen hatte.
Auf dem Höhepunkt des Duells zwischen Alain Prost und Ayrton Senna wurden 1989 und 1990 zwei Weltmeisterschaften im vorletzten Grand Prix durch Kollisionen entschieden. Beide wurden absichtlich herbeigeführt. 1990 eskalierte die Fehde der beiden besten Rennfahrer ihrer Zeit. Prost hatte McLaren verlassen und fuhr jetzt für Ferrari. Das führte eine neue Dimension ein. Auch Ferrari und McLaren führten Krieg.
Senna bekam erst in letzter Minute seine Lizenz. Er musste sich zuerst bei FIA-Präsident Jean-Marie Balestre für den Vorwurf der Parteinahme für Prost entschuldigen. Senna zahlte es dem Präsidenten mit einem Sieg beim Saisonstart in Phoenix heim. Doch ausgerechnet beim Heimspiel in Brasilien warf er den Sieg durch eine überflüssige Kollision mit Satoru Nakajima weg und öffnete so seinem Erzfeind Prost die Türe.
In Ungarn rempelte sich Senna gegen Alessandro Nannini zum zweiten Platz. In Estoril klaute Nigel Mansell seinem Stallrivalen Prost den Sieg, als er ihn beim Start gegen die Boxenmauer drückte. Prost legte Fiat-Chef Gianni Agnelli nahe, Rennleiter Cesare Fiorio zu entmachten. Der Ferrari war im Finale das bessere Auto. Senna wusste das und torpedierte seinen WM-Gegner in Suzuka gleich nach dem Start von der Bahn. Damit war sein zweiter Titel perfekt. Prost ging danach verärgert auf Tauchstation und schwänzte alle Pressekonferenzen.

Ein Jahr der Sperren und Disqualifikationen
Auch das Jahr von Michael Schumachers erstem WM-Titel fällt in diese Rubrik. Der Tod von Ayrton Senna und Roland Ratzenberger in Imola, die Serie schwerer Unfälle drumherum lasteten wie ein böser Fluch auf der 94er Saison, die nach einer massiven technischen Abrüstung sich unerwarteterweise zu einem Duell zwischen Schumacher und Damon Hill entwickelte. Und da wurde an allen Ecken und Enden foul gespielt.
Schumacher ignorierte in Silverstone eine schwarze Flagge und wurde dafür disqualifiziert. Später gab es noch zwei Rennen Sperre obendrauf. Auch sein Sieg in Spa wurde aberkannt. Die Holzplatte unter dem Auto war zu stark abgeschliffen. Schumachers Benetton-Team stand unter dem Verdacht mit einer verbotenen Traktionskontrolle und einer Startautomatik zu schummeln. Nach einem Boxenfeuer bei Jos Verstappen wurde eine Manipulation am Filter im Tanksystem entdeckt. Williams machte seiner Speerspitze Hill unnötig das Leben schwer, indem man für vier Rennen Nigel Mansell von der IndyCar-Serie auslieh.
Der Zweikampf endete im Finale in Adelaide mit einer Kollision. War es Absicht? Hill gab sich zum Teil selbst die Schuld: "Als Michael von der Mauer zurückkam, wusste ich, dass er einen Fehler gemacht hatte, nicht aber dass sein Auto beschädigt war. Hätte ich es gewusst, hätte ich ihn ausrollen lassen und ihm zugewunken. So habe ich ein ziemlich unbeholfenes Manöver gestartet. Das war im Rückblick nicht klug."
Drei Jahre später wiederholte sich die Geschichte. Diesmal Michael Schumacher gegen Jacques Villeneuve. Da braute sich alles erst in den letzten beiden Rennen zusammen. Villeneuve war mit einem Bein schon Weltmeister als er in Suzuka über eine gelbe Flagge stolperte. Weil es zum zweiten Mal in dieser Saison passierte, wurde er vom Rennen ausgeschlossen. Der Kanadier fuhr trotzdem. Unter Berufung. Den fünften Platz bekam er aberkannt. So kam es zum Showdown in Jerez. Und zum Zusammenstoß der Titelkandidaten. Schumacher versuchte die Tür zuzumachen als es längst zu spät war. Für die durchsichtige Attacke strich ihm die FIA alle WM-Punkte.

Die Spionage-Affäre um McLaren
Ein ganz anderes Kaliber war die Saison 2007. Die WM wurde zum Dreikampf zwischen Titelverteidiger Fernando Alonso, Rookie Lewis Hamilton und dem erklärten Favoriten und Ferrari-Neuzugang Kimi Räikkönen. Das McLaren-interne Duell zwischen Alonso und Hamilton gab der Geschichte eine besondere Note. Alonso witterte überall Verrat. Er war neu im Team und verrannte sich in dem Glauben, dass ein englisches Team einen englischen Fahrer favorisiert.
Das öffnete Ferrari die Tür. Maranello konzentrierte sich auf Räikkönen. Bei McLaren nahmen sich die Fahrer gegenseitig die Punkte weg. Ferrari fuhr noch größere Geschütze auf. Man bezichtigte McLaren der Industriespionage. Tatsächlich hatte Einsatzleiter Nigel Stepney dem McLaren-Ingenieur Mike Coughlan sämtliche technischen und strategischen Daten zugesteckt.
Teamchef Ron Dennis beteuerte zwar, die Informationen nicht genutzt zu haben, doch Mail-Verkehr zwischen einigen Angestellten und Alonso als Kronzeuge brachen der Verteidigung das Genick. Es hatten mehrere Personen von dem Datentransfer gewusst.
McLaren verlor alle Punkte und im letzten Rennen auch noch dem WM-Titel. Hamilton verspielte in zwei Rennen einen 17-Punkte-Vorsprung. Auch weil McLaren sich zu sehr darauf konzentrierte, dass Alonso auf keinen Fall Weltmeister wird. Am Ende der Saison warf man den vermeintlichen Verräter aus dem Team. Die FIA verdonnerte McLaren zu einer Rekordstrafe von 100 Millionen Dollar.
Hat die Formel 1 Schaden genommen? Nicht wirklich. Im Rückblick wirken die Skandale viel harmloser. Sie werden zu Fußnoten einer großen Geschichte, die ein ganzes Jahr oder ein ganzes Turnier beherrscht. Im Rückblick dominiert der sportliche Teil die Erinnerung. Wie beim berühmten Tor von Wembley 1966. Da regt sich heute auch keiner mehr auf.