Formel 1: Speed-Explosion der Groundeffect-Autos

Speed-Explosion der Groundeffect-Autos
13 Sekunden in sechs Jahren

Veröffentlicht am 30.01.2022

Die Formel 1 verkauft die Regelreform der Saison 2022 als den großen Neustart der Königsklasse. Doch so neu ist das Markenzeichen der neuen Formel 1 gar nicht. Das Venturi-Prinzip, das unter dem Auto nahezu kostenlosen Abtrieb mit weniger Abstrahlung nach hinten erzeugt, gab es schon vor 40 Jahren. Damals natürlich nicht mit dem Vorsatz, dass man leichter überholen kann. Zwischen 1977 und 1982 ging es ausschließlich um schnellere Rundenzeiten. Das große Bild hatte keiner im Blick.

Lotus brachte den Stein ins Rollen. Die Ingenieure unter der Leitung von Colin Chapman hatten aus dem March 701 von 1970 die richtigen Schlüsse gezogen. Designer Robin Herd hatte dem Auto Seitenkästen mit einem Flügelprofil verpasst. Sie lagen allerdings offen im Fahrtwind. Chapman und seine Jünger versteckten sie unter den Seitenkästen und dichteten die Spalte zur Straße mit beweglichen Schürzen ab.

Evolution einer guten Idee

Der Lotus 78 von 1977 war seiner Zeit weit voraus und trotzdem nur ein Schnellschuss. Die Flügelprofile unter den Seitenverkleidungen reichten nur bis zur Hinterachse. Weil Kühler, Auspuff und Aufhängungselemente im Luftstrom standen, baute der Lotus 78 extrem breit, um Flügelfläche zu gewinnen. Das erhöhte den Luftwiderstand. Das Auto war in den Kurven unschlagbar aber auf den Geraden eine Schnecke.

Obwohl Lotus der Konkurrenz ein Jahr lang Anschauungsunterricht bot, hatte kaum einer verstanden, warum das schwarze Auto so schnell war. So konnte Chapman sein Konzept 1978 optimieren, ohne dass seine Gegner nachgezogen hätten. Nur Wolf folgte mit dem WR5 der Groundeffect-Idee, allerdings nur halbherzig.

Der Lotus 79, der 1978 mit Mario Andretti überlegen den WM-Titel gewann, war eine Evolution des Vorgängers. Bei ihm reichten die Tunnel mit den Flügelprofilen bis zum Heck, und die Strömung wurde auch nicht durch irgendwelche Anbauten gestört. Die Seitenkästen waren schlanker, die Flügel kleiner. Das verbesserte die Geschwindigkeiten auf den Geraden.

Jacky Ickx - Ligier JS11 - GP England 1979
Wilhelm

Mit Schürzen drei Sekunden schneller

Der Blick auf die Vergangenheit lässt ahnen, was in den nächsten Jahren auf die Formel 1 zukommt. Mit einem Unterschied. Im ersten Jahr der Venturi-Generation werden die Autos nicht schneller. Pirelli rechnet anhand der Daten, die sie von den Teams bekommen, mit einem Zeitverlust von einer Sekunde zu Saisonbeginn und mit Gleichstand am Ende des Jahres. 1977 war der Lotus 78 teilweise um bis zu drei Sekunden schneller als die konventionellen Autos der Saison 1976.

Damals warf die Sportbehörde den Ingenieuren allerdings noch keine Prügel in den Weg. Es wusste ja keiner, was da für eine Lawine auf den Sport zurollen würde. Lotus hatte sein Wunderauto unter größter Geheimhaltung konstruiert. Diesmal liegen alle Karten auf dem Tisch. Die Teams müssen der FIA Bericht erstatten. Jeder Kunstgriff, der sich gegen den Geist des Reglements stellt, wird im Keim erstickt.

Die Autos sind in genau definierte Legalitätsboxen eingeteilt, und die Motoren werden mit E10-Sprit 20 PS verlieren. Es gibt nicht mehr viel kreative Freiheit. Schürzen sind sowieso verboten, das Spiel mit der Luft stark eingeschränkt. Das Technikbüro der Formel 1 hat simuliert, dass die 2022er Autos mit Schürzen auf einen Schlag um drei Sekunden pro Runde schneller gewesen wären.

March 701 - GP England 1970
Motorsport Images

Jedes Jahr neue Rundenrekorde

Wer das Entwicklungstempo der modernen Formel 1 kennt, weiß dass die Ingenieure nicht zu bremsen sind, wenn man sie mal von der Kette gelassen hat. Die Rundenzeiten werden schnell fallen. Was die Regelmacher nach derzeitigen Aussagen nicht stört. "Sie werden nur einschreiten, wenn das große Ziel gefährdet ist. Da lautet die Frage nur, wie viel Abtrieb das hinterherfahrende Auto in den Turbulenzen verliert", bestätigte der scheidende Technikchef Pat Symonds.

Vor vier Jahrzehnten sind die Rundenzeiten regelrecht explodiert. Die FIA konnte gar nicht schnell genug auf die Bremse treten. Jedes Jahr gab es neue Rekorde, und die purzelten nicht im Zehnteltakt, sondern in Portionen von mehreren Sekunden.

Der Lotus 79 verbesserte die Bestzeit in Monza im Vergleich zur Ära davor von 1.41,35 auf 1.37,52 Minuten. Auch in Zandvoort zeigte sich der rasante Fortschritt. Pole-Mann Mario Andretti war fast fünf Sekunden schneller als Ronnie Peterson in einem konventionellen March zwei Jahre zuvor.

1979 schlugen die Kopien das Original. Die Ingenieure fanden immer mehr Abtrieb. Lotus hatte es versäumt, das Chassis entsprechend zu versteifen. "Das ganze Auto hat sich verbogen. Colin wollte aus Gewichtsgründen kein steiferes Chassis. Das war ein Fehler", blickt Andretti zurück. 1979 wurde mit dem Ferrari 312T4 nur deshalb ein halbes Groundeffect-Auto noch einmal Weltmeister, weil die wesentlich schnelleren Ligier und Williams zu oft mit Defekten ausfielen.

Alan Jones - Williams FW07C - GP Monaco
Wilhelm

Groundeffect plus Turbo-Power

Die Tempojagd ging ungebremst weiter. Jetzt kam auch noch Turbo-Power dazu. Jean-Pierre Jabouille drückte die Monza-Bestzeit 1979 noch einmal um drei Sekunden. Am Österreichring fielen die Rundenzeiten von einem Jahr auf das andere um 3,7 Sekunden. Der Fortschritt in Zandvoort war mit einer Verbesserung von 1.16,36 auf 1.15,46 Minuten fast schon moderat.

Weil der Trend auch 1980 rasant anhielt und sich schwere Unfälle häuften, schritt die FIA ein. Bewegliche Schürzen wurden 1981 verboten. Im Stand durfte kein Teil des Autos näher als sechs Zentimeter über dem Boden liegen.

Die Teams fanden schnell ein Gegenmittel. Sie bauten in ihre Autos eine Hydropneumatik ein, die das Fahrzeug absenkte, sobald es die Boxengasse verlassen hatte. Man könnte auch von Betrug sprechen, doch die FIA war machtlos. Sie konnte die Autos nur im Stand messen. An der Prüfstelle war die geforderte Bodenfreiheit längst wieder hergestellt.

Die Fahrer rebellierten. "Die Autos sind so hart gefedert, dass wir Rückenprobleme bekommen", lästerte Weltmeister Alan Jones. Weil die Rundenzeiten durch den Eingriff stagnierten, ließ sich FIA-Präsident Jean-Marie Balestre für 1982 auf einen Kuhhandel ein. Starre Schürzen waren wieder erlaubt, durften nur nicht so heißen. Sie mussten sechs Zentimeter hoch und zwischen fünf und sechs Millimeter breit sein.

F1 - Unterboden 2022
FIA

Tod der Groundeffect-Autos

Im Zusammenspiel mit Motoren, die jetzt bis zu 580 PS entfesselten, fielen im letzten Jahr der Groundeffect-Autos sämtliche Rekorde. Verglichen mit der der Fahrzeuggeneration davor sind wahre Monster entstanden. René Arnoux fegte mit seinem Renault RE30-Turbo um 13,49 Sekunden schneller über die Strecke von Le Castellet als James Hunt sechs Jahre zuvor in seinem McLaren M23.

Am Österreichring war die Bestzeit im gleichen Zeitraum um 11,71 Sekunden gefallen. Obwohl seitdem eine Schikane die Vollgaskurve nach Start und Ziel ersetzt hatte. In Kyalami und Monza wurden jeweils 9,61 Sekunden weggefeilt, in Zandvoort waren es 7,08 Sekunden und selbst in Monte Carlo blieb kein Stein mehr auf dem anderen. Statt mit 1.29,86 Minuten wie 1977 umrundeten die schnellsten den Stadtkurs jetzt in 1.23,28 Minuten.

Die schweren Unfälle der Ferrari-Piloten Gilles Villeneuve und Didier Pironi lieferten Balestre endlich die Argumente, dem Groundeffect-Zauber ein Ende zu bereiten. Dass die Unfälle nichts mit dem Fahrzeugkonzept zu tun hatten, spielte keine Rolle. Für die Saison 1983 wurden Flügelprofile unter den Autos verboten.

Der Boden zwischen den Achsen hatte nun flach zu sein. Die Autos wurden praktisch auf allen Strecken langsamer, aber nicht in dem Ausmaß wie gedacht. Der Verlust an Abtrieb wurde zum Teil durch immer mehr Power von den Turbomotoren und durch die Kohlefaser-Revolution im Chassisbau kompensiert. Die Kohlefaserröhren waren viel verwindungssteifer als die Aluminium-Versionen. In Paul Ricard stieg die Rundenzeit um 2,27 Sekunden. In Kyalami waren es nur zwei Zehntel.