Wenn sich die Geschichte wiederholt, dann stehen der Formel 1 goldene Zeiten bevor. In der ersten Ära der Groundeffect-Autos von 1978 bis 1982 lief das so: Zu Beginn war ein Auto haushoch überlegen, am Ende konnten sieben verschiedene Teams gewinnen, so viele wie nie zuvor und danach. Trotz Reifenkrieg und einem großen Leistungsgefälle auf dem Motorenmarkt, der von den Turbos neu aufgemischt wurde.
1978 dominierte der Ideengeber. Lotus hatte das Prinzip schon ein Jahr zuvor mit dem Lotus 78 angedeutet, wenn auch nicht ganz konsequent. Die Konkurrenz hätte es eigentlich bemerken müssen, doch sie schlief. Als Lotus 1978 das Groundeffect-Konzept mit dem Modell 79 perfektionierte, wachten die Gegner auf. Zu spät. Wolf und Fittipaldi hatten immerhin halbe "Flügel-Autos" gebaut und schafften es auch auf das Podium.
Ferrari gewann mit konventioneller Technik nur deshalb fünf Rennen, weil die Michelin-Reifen der Italiener auf manchen Strecken den Aerodynamik-Vorteil des Lotus auffraßen. Und Brabham gewann nur, weil man in der Not einen Staubsauger baute, der das Auto mittels eines Gebläses an die Straße saugte. Man ließ dem BT46B genau ein Rennen, dann wurde der Staubsauger ausgeschlossen.

Geburtsfehler wie vor 40 Jahren
Colin Chapman nutzte den Raum unter dem Auto dazu, mit umgedrehten Flügelprofilen Abtrieb zu erzeugen. Alle anderen wurden auf dem kalten Fuß erwischt. Übertragen auf die Saison 2022 war Red-Bull-Technikchef Adrian Newey der einzige, der die Eigenheiten dieser Autos aus eigener Erfahrung kannte und als erster richtig darauf reagierte. "Es war sicher ein Faktor für Red Bull, jemanden aus der damaligen Groundeffect-Zeit in der Mannschaft zu haben. Jemanden, dem es bewusst war, dass der Effekt des Bouncings auftritt, wenn man mit dem Auto zu tief am Boden fährt. Das ist sicher etwas, das wir unterschätzt haben", gibt Mercedes-Teamchef Toto Wolff zu.
Physik ändert sich nicht. Die Geburtsfehler von heute sind die gleichen wie damals. Das Prinzip funktioniert am besten, je tiefer das Auto über der Straße fährt. Minimale Federwege halten die Bodenfreiheit in einem winzigen Fenster. Es zu treffen ist die Kunst. In der Praxis liegt die optimale Fahrzeughöhe oft höher als in der Theorie. Ein Millimeter kann entscheiden, ob das Auto noch fahrbar ist oder in den schnellen Passagen in einem Wechselspiel aus Ansaugen und Absaugen anfängt zu pumpen. Zu viel Abtrieb ist mit diesen Autos nicht immer segensreich. Der Überfluss brachte das Bouncing.
1982 gewinnen sieben Teams
Gesucht ist der goldene Kompromiss, der den Anpressdruck auf möglichst hohem Niveau stabil hält, dem Fahrer über einen Hauch von Federung noch ein Gefühl für sein Auto gibt und das Fahrzeug so in Balance hält, dass die Reifen bei Laune gehalten werden. Die Autos von Ferrari und Mercedes produzierten mehr Abtrieb als der Red Bull und waren trotzdem langsamer. Weil er entweder gar nicht oder nicht immer nutzbar war.
Das war vor vier Jahrzehnten auch schon so. Als die Ingenieure nach der Lotus-Lehrstunde 1978 mehr und mehr Abtrieb fanden, begannen die Autos zu schaukeln. Einige Teams verpassten es, ihre Chassis für die höheren Kräfte fitzumachen. Und schon war Lotus raus aus seiner Komfortzone. Williams und Ligier schlugen den Pionier hauptsächlich deswegen, weil sie mit verwindungssteiferen Chassis und Fahrwerken auf den eklatanten Zuwachs an Anpressdruck reagierten.
Die Kopien wurden besser als das Original. Schnell fanden sich erst vier, dann sechs und schließlich sieben Teams, die gewinnen konnten, und Lotus war nicht mehr der Leitwolf der Szene. 1982, beim Schwanengesang der Groundeffect-Ära räumten Ferrari, McLaren, Renault, Williams, Brabham, Tyrrell und Lotus Siegerpokale ab. Alfa Romeo und Ligier schafften immerhin noch Podestplätze.
Die Erfahrung aus der Vergangenheit lehrt, dass Groundeffect-Autos schnell an ihr Limit kommen und mit etwas Erfahrung viele den goldenen Schlüssel finden. Weil sich alles um einen dominanten Bereich des Fahrzeugs dreht. Die Rundenzeit wird unter dem Auto gemacht. Frühere Einflussgrößen wie die Flügel oder das Fahrwerk sind streng reglementiert, alle aerodynamischen Hilfsmittel auf den Oberflächen verboten.

In der Praxis zu viele Kompromisse
Deshalb wurden die Venturi-Kanäle im vorderen Teil, der Diffusor hinten und die Kanten des Bodens zur bevorzugten Spielwiese der Aerodynamiker. "Aerodynamische Stabilität ist schwieriger zu erreichen, weil so viel Abtrieb von einer Stelle kommt. Störfaktoren treten deshalb auch viel stärker auf", doziert Alpine-Technikchef Matt Harman. Red-Bull-Kollege Newey pflichtet bei: "Es ist nicht möglich, diese Autos in der theoretisch bestmöglichen Konfiguration zu fahren. Sie verlangen in der Praxis zu viele Kompromisse."
Es zeigte sich schon in dieser Saison, dass die Aerodynamikentwicklung weniger Gewinne abliefert als in der Vergangenheit. Den größten Zeitgewinn brachte das Abspecken von Gewicht. Der Vergleich der Trainingsbestzeiten der letzten beiden Jahre stellt der Aerodynamikentwicklung in der abgelaufenen Saison kein gutes Zeugnis aus. Sie lagen am Saisonende mit 0,324 Sekunden pro Kilometer so weit über Vorjahr wie zum Saisonstart. Obwohl 2021 die Entwicklung der alten Autos früh eingeschlafen war und 2022 der Gewichtsfaktor im Saisonverlauf zwei bis vier Zehntel frei Haus lieferte.
Die meisten Konstruktionsbüros nahmen im ersten Jahr der neuen Fahrzeuggeneration im Akkord Änderungen an ihren Autos vor, zeigten sich sichtbare Verbesserungen nur bei denen, die mit dem falschen Ansatz in die Saison gestartet waren. Mercedes operierte seinen W13 in 42 Details, McLaren brachte vier Runderneuerungen für seinen MCL36, bei Aston Martin und Williams musste es sogar eine B-Version richten.

Neweys Angst vor Trick
Red Bull korrigierte den Fehler punktgenau am letzten Testtag vor der Saison. Ein neuer Unterboden und modifizierte Seitenkästen schafften das Bouncing aus der Welt. Und verwandelten den Nachteil des späten Entwicklungsbeginns für den RB18 in den Vorteil um, vor allen anderen zu wissen, was das Auto kann und was nicht.
Die zwei entscheidenden Aero-Upgrades in Imola und Paul Ricard konzentrierten sich auf den Unterboden und die hinteren Bremsbelüftungen. Beide Maßnahmen stabilisierten den Abtrieb auf einer jeweils höheren Plattform. Und sie vergrößerten das nutzbare Arbeitsfenster. Weil Newey und seine Truppe früher als alle anderen wussten, worauf sie sich bei der Suche nach Rundenzeit konzentrieren mussten.
Mercedes begann mit der Entwicklungsarbeit erst beim sechsten Rennen des Jahres. Davor maskierte das Bouncing Stärken und Schwächen des W13. Ferrari bog beim Versuch, Red Bulls Aufholjagd zu kontern, falsch ab. Die Ingenieure fanden mehr Abtrieb, doch der war nicht stabil. Beide glauben zu wissen, was ihnen noch fehlt. Sie wollen 2023 mit Red Bull wieder um Siege fahren. Alpine und McLaren machten im Verlauf der Saison in kleinen Schritten Boden gut. Hier wird es noch etwas länger dauern, bis die Lücke geschlossen ist.
Sie können aber guter Hoffnung sein, dass die drei Topteams nicht mehr allzu viel Spielraum haben. Die Tendenz zum Zusammenrücken wird sich wie vor 40 Jahren verstärken, schon allein deshalb weil die Ingenieure die Defizite ihrer Autos und die 18-Zoll-Reifen von Pirelli verstanden und die Fotos der Konkurrenzprodukte ausreichend studiert haben. Keiner beginnt mehr bei Null. Das schafft innerhalb des Kostendeckels mehr Luft nach oben.
Im nächsten Jahr werden alle Autos am Gewichtslimit liegen. Alle werden ihre Aerodynamikziele Richtung Stabilität definieren, die Arbeitsfenster vergrößern, dem Topspeed mehr Bedeutung zumessen und ihre Fahrwerke auf mehr Komfort trimmen, um dem Fahrer möglichst viel Vertrauen zu geben. Nachdem Ferrari und Renault die Schwachstellen ihrer Motoren kuriert haben, werden sich die Power-Unterschiede auf unter 20 PS einpegeln. Adrian Newey hat nur eine Sorge. Dass einer einen Trick auspackt, an den keiner denkt. "Die Tatsache, dass zwei so unterschiedliche Autos wie der Red Bull und der Ferrari gleich schnell waren, sagt mir, dass es noch etwas Besseres geben muss."