Diese Weltmeisterschaft lebt von überraschenden Wendungen. Die drei WM-Gegner McLaren, Ferrari und Red Bull könnten in Las Vegas Konkurrenz von Mercedes bekommen. Die Silberpfeile waren zuletzt nur noch vierte Kraft. Lewis Hamilton gewann beide Trainingssitzungen, und Teamkollege George Russell lag nur knapp dahinter.
In den Longruns bestimmte Ferrari das Tempo. Wie erwartet haderten Charles Leclerc und Carlos Sainz damit, dass die Reifen nur langsam auf Temperatur kommen wollten. Beide Teams sind noch auf der Suche nach dem optimalen Kompromiss.
Das Gleiche trifft auf Max Verstappen und Lando Norris zu. Auf eine Runde machte Norris die bessere Figur. Der WM-Zweite rangierte im Sandwich zwischen den Mercedes-Piloten. Im Dauerlauf verheizte er seine Vorderreifen zu schnell. Bei Red Bull war es umgekehrt. Gut im Longrun, unglücklich auf eine Runde. Der Titelverteidiger sucht noch Topspeed.
Das könnte im Rennen der entscheidende Faktor werden. Las Vegas ist die einzige Strecke, auf der das Überhol-Delta praktisch bei Null liegt. Auf dem 1,9 Kilometer langen Strip wirkt der Windschatten selbst bei geschlossenem Heckflügel so stark, dass man mit aktiviertem DRS bequem vorbeifahren kann. Deshalb wurde im Vorjahr auch die Rekordzahl von 84 Überholmanöver gezählt.

Mercedes legte am Donnerstag zwei starke Session hin und scheint in Las Vegas ein Siegkandidat zu sein.
Sechs Dinge, die Sie wissen müssen:
1) Ist Mercedes wieder nur Freitags-Meister?
Das hatten wir in dieser Saison schon öfter. Mercedes ist eine Macht am ersten Trainingstag. Im ersten Training feierten die Silberpfeile einen Doppelsieg. Lewis Hamilton vor George Russell. Auch in der zweiten Sitzung hatte ein Mercedes die Nase vorn. Wieder führte Hamilton die Rangliste an. Russell landete auf dem dritten Platz. Die Abstände an der Spitze sind extrem eng. Hamilton schlug Lando Norris um 0,080 Sekunden. Russell fehlten 0,190 Sekunden auf die Bestzeit. Auch die Ferrari lagen mit drei und vier Zehnteln Rückstand noch auf Schlagdistanz. Hamilton schwärmte: "Zum ersten Mal in diesem Jahr hatten wir einen konstant guten ersten Trainingstag."
Trotzdem bricht bei Mercedes keine Euphorie aus. Die Autos sind auf einer grünen Strecke traditionell stark. Je mehr Gummi auf die Ideallinie kommt, umso mehr holt die Konkurrenz auf. Weil dann die Reifen am Mercedes in aller Regel überhitzen. Das könnten die winterlichen Bedingungen mit elf Grad Asphalttemperatur etwas abschwächen. Im ersten Training betrug der Vorsprung noch neun Zehntel, im zweiten holten die Gegner auf. Es geht also wieder in die übliche Richtung. Die Fahrer lobten ein gut ausbalanciertes Auto und waren in den Dauerläufen konstant unterwegs, wenn auch nicht auf dem Niveau von Ferrari. "Ich habe mich von der ersten Runde an wohl im Auto gefühlt. Trotzdem sagt der Donnerstag nicht viel aus. Wir schätzen, dass die Rundenzeiten am Freitag noch einmal drei Sekunden schneller sein werden", prophezeite Russell.

Zeigt Ferrari im Rennen der Konkurrenz das Heck? Die Roten sind gut aufgestellt in der Zocker-Metropole.
2) Wird Ferrari seiner Favoritenrolle gerecht?
Auf den Plätzen vier und fünf sind Charles Leclerc und Carlos Sainz auf jeden Fall bei der Musik. Leclerc musste auf seiner schnellsten Runde kurz vom Gas. Der dreifache Saisonsieger war mit seinem Auto etwas zufriedener als der Teamkollege, der trotz einer Setup-Änderung im zweiten Training zu wenig Grip reklamierte. Sainz lobte aber die starke Form des Autos im Renntrim.
Wie erwartet tun sich die Ferrari-Fahrer schwer die Reifen aufzuheizen. "Es fühlt sich im Auto nicht toll an, aber wenn man sich umhört, dann hat jeder die gleichen Probleme", stellte Leclerc fest. Trotzdem bemängelte er: "Wir sind nicht so stark, wie wir es uns erwartet hatten." In den Longruns bestimmten die roten Autos das Tempo. Leclerc und Sainz waren im Schnitt zwei Zehntel schneller als der Rest.

Bei Red Bull liegt nach den ersten beiden Trainings noch einiges an Arbeit vor Max Verstappen und seinen Ingenieuren.
3) Wieso fehlt Red Bull Topspeed?
Red Bull wünscht sich einen anderen Heckflügel. "In der ersten Sitzung haben auf allen Geraden zusammen zwischen sechs und neun Zehntel verloren. Wir haben nicht so kleine Flügel wie die Konkurrenz im Angebot", bedauerte Sportchef Helmut Marko. Nach dem Entfernen des Gurneys lief es am späten Abend auf den Geraden besser. Max Verstappen kam immerhin auf einen Topspeed von 344 km/h. Die Mercedes waren sechs km/h schneller. Teamchef Christian Horner schrieb den Zeitverlust auf den Geraden dem Umstand zu, dass Honda noch nicht die volle Power freigab. Und damit gab es auch Probleme, die Reifen aufzuwärmen.
Max Verstappen und Sergio Perez kamen über die Plätze 17 und 19 nicht hinaus. Immer wieder störten gelbe Flaggen die Versuche der Red Bull-Piloten auf schnelle Runden zu kommen. Verstappen kam gar nicht dazu, einen Soft-Reifen einzusetzen. Er fuhr seine Zeit auf dem Medium-Gummi. Die Dauerläufe liefen besser, aber laut Marko nicht ideal. "Wir sahen Zeichen von Speed. Aber der war nicht immer vorhanden. Wir sind ein paar gute Runden gefahren, doch dann sind uns die Reifen eingebrochen."

Lando Norris war in Las Vegas flott unterwegs. Doch McLaren kämpft noch mit dem Reifenverschleiß des MCL38.
4) Kann Norris die WM offen halten?
Wenn sich Red Bull nicht steigert und McLaren seine Form bis zum Sonntag konservieren kann, dann hat Lando Norris gute Chancen die drei Punkte auf Verstappen aufzuholen, die er braucht um das Titelrennen mathematisch offenzuhalten. McLaren überzeugte vor allem in den langsamen Kurven 7 bis 9, sowie 12 und 14, verlor aber Zeit auf den Geraden gegen die Mercedes. Es bleibt abzuwarten, ob McLaren im dritten Training einen kleineren Heckflügel ausprobiert. In den Longruns konnten weder Lando Norris noch Oscar Piastri voll überzeugen. Beide Fahrer gingen ihre Rennsimulationen zu forsch an und bezahlten nach ein paar Runden mit starkem Körnen der Reifen.

Alpine setzte mit Pierre Gasly am Donnerstag den Aufwärtstrend fort. Die Franzosen sind ein Anwärter auf die Top-Ten.
5) Alpine, Haas oder Toro Rosso?
Alpine macht wieder eine gute Figur. Der neue Unterboden, der in Austin debütierte, funktioniert auch auf dem Stadtkurs von Las Vegas. Pierre Gasly und Esteban Ocon landeten auf den Plätzen sechs und zwölf, hatten im Longrun aber Mühe mit körnenden Reifen. Damit sind sie auf Augenhöhe mit den Haas-Piloten, die auf den Rängen sieben und neun beide Autos in die Top-Ten brachten. Schon wieder hatte Kevin Magnussen die Nase leicht vor Nico Hülkenberg. Der Unterschied beträgt 0,132 Sekunden. Magnussen hatte jedoch zwei Versuche auf den Soft-Reifen, während es Hülkenberg bei einem belassen musste. Beim zweiten wurde er von einer gelben Flagge gebremst.
Toro Rosso landete in der ersten Trainingssitzung auf den letzten beiden Plätzen. Die Ingenieure mussten den VCARB01 erst wieder neu lernen. Mit der neuen Hinterradaufhängung, die Toro Rosso jetzt vom Red Bull RB20 übernommen hatte, ändert sich auch die Aerodynamik im Heck. Nach einem Totalumbau des Setups lief es im zweiten Training mit den Plätzen zehn für Yuki Tsunoda und 15 für Liam Lawson besser. Aber immer noch nicht gut genug. "Unser großes Problem war Untersteuern. Wir konnten es für die zweite Sitzung etwas eindämmen, aber es ist immer noch da und kostet uns Zeit", verrät Chefingenieur Alan Permane. Man sah es an den Longruns. Die durchschnittlichen Rundenzeiten lagen deutlich über denen von Haas und Alpine.

Die Pirelli-Reifen sind der Schlüssel zum Erfolg bei den kühlen Temperaturen in Las Vegas.
6) Welche Rolle spielen die Reifen?
13 Grad Lufttemperatur, elf Grad auf dem Asphalt. Und das zur gleichen Nachtzeit, an der am Samstag der Grand Prix gestartet wird. Kälte ist für die Reifen eine ähnlich große Herausforderung wie Hitze. Bei diesen tiefen Temperaturen wird Körnen zum großen Problem. Je grüner die Strecke, umso eher schälen sich die Gummischnipsel von der Lauffläche. "Das wird mit mehr Gummi auf der Ideallinie besser, geht aber nie ganz weg", prophezeit Pirelli-Sportchef Mario Isola.
Die Vorderreifen sind besonders betroffen, weil die noch langsamer in ihr Arbeitsfenster kommen als die hinteren Walzen. "Untersteuern ist ein größeres Problem als Übersteuern", erklärt Isola. In den langsamen Kurven walken die Reifen zu wenig. Und auf den drei langen Geraden kühlen sie zu stark aus. Auf der 1,9 Kilometer langen Strip-Passage um 30 bis 35 Grad. Alle werden versuchen, mit einem Stopp über die 50 Runden zu kommen. Auf dem Papier ist das fünf bis sieben Sekunden schneller als zwei Reifenwechsel. Wer die Strategie zum Erfolg führen will, muss allerdings 20 Runden auf dem Medium-Reifen schaffen. "Der Schlüssel wird sein, das Körnen auf dem rechten Vorderreifen so lange wie möglich hinauszuzögern, damit der Verschleiß nicht durch die Decke geht", warnt Toro-Rosso-Chefingenieur Alan Permane.