War die Strafe gegen Piastri berechtigt?
Eigentlich befand sich Oscar Piastri schon auf dem Weg zum sicheren Sieg. Nachdem er Max Verstappen in Runde 8 überholt hatte, konnte sich der WM-Spitzenreiter einen Vorsprung von 14,4 Sekunden herausfahren. Doch dann kam der große Regen und die Rennleitung entschied sich, zur Sicherheit Bernd Mayländer ins Rennen zu schicken. Damit war der schöne Vorsprung futsch.
Beim ersten Restart lief für Piastri noch alles glatt. Doch dann sorgte eine Kollision zwischen Isack Hadjar und Kimi Antonelli für den zweiten Einsatz des orangefarbenen Safety-Cars. Als das Signal zum Wiederanpfiff kam, bremste Piastri das Feld aus Sicht der Schiedsrichter etwas zu stark ein. Verfolger Verstappen musste ausweichen und beklagte sich prompt über Funk.
Es dauerte nur zwei Runden, bis die Sportkommissare eine Zehn-Sekunden-Strafe für den führenden McLaren aussprachen, die ihn am Ende den Sieg kosten sollte. Die Untersuchung der Telemetriedaten hatte ergeben, dass Piastri auf der Hangar-Gerade mit einem Bremsdruck von 59,2 PSI von 218 auf 52 km/h verzögert hatte. Die Stewards werteten dieses Manöver als gefährlich und unberechenbar.

Beim Restart bremste Piastri das Feld etwas zu heftig ein.
"Anscheinend darf man hinter dem Safety-Car nicht mehr bremsen", ätzte der Sünder in Richtung der Sportwarte. Der Vorfall wurde natürlich sofort mit der Szene am Ende des Montreal-Rennens verglichen, als George Russell hinter dem Safety-Car ebenfalls stark abbremste und Verstappen zu einem Ausweichmanöver zwang. Russell kam damals mit einem blauen Auge davon. Der Freispruch wurde damit begründet, dass nur 30 PSI Bremsdruck gemessen wurde, die Hälfte von Piastri.
Teamchef Andrea Stella stufte die Strafe dennoch als sehr hart ein. Eine Einschätzung, die übrigens auch Red-Bull-Kollege Christian Horner teilte. McLaren hätte sich von den Stewards mehr Fingerspitzengefühl gewünscht. "Die Lichter am Safety-Car gingen extrem spät aus. Da blieb nicht viel Zeit zur Vorbereitung des Restarts. Aus unserer Sicht ist der Bremsdruck auch nicht ungewöhnlich hoch. Zudem gibt es Fahrer im Feld, die solche Situationen schlimmer aussehen lassen können, als sie sind." Stella wünschte sich: "In solchen Fällen wäre es gut, wenn die Sportkommissare nach dem Rennen alle Beteiligten zu Wort kommen ließen, um ein faires Urteil zu sprechen."
Warum gab es keine Stallregie bei McLaren?
Auch wenn die McLaren-Verantwortlichen die Strafe nicht nachvollziehen konnten, wurde der Bitte von Piastri nach einer Stallregie in den letzten Runden nicht nachgegeben. "Ich wusste, dass es wohl keine große Aussicht auf Erfolg hat. Aber ich wollte einfach mal nachfragen", erklärte Piastri.

Piastri gratulierte Lando Norris fair zum Silverstone-Sieg.
Stella hatte Verständnis für den Wunsch seines Piloten: "Wir ermutigen unsere Fahrer immer, am Funk ihre Meinung zu sagen. Wir haben darüber diskutiert und die Situation so fair wie möglich gehandhabt. Oscar hatte immer noch eine Chance auf den Sieg. Bei einem weiteren Safety-Car vor dem letzten Stopp hätten wir beide Fahrer gleichzeitig reingeholt. Dann hätte Lando warten müssen und die Reihenfolge hätte sich nicht geändert."
Das von Piastri herbeigesehnte Safety-Car kam aber nicht. So musste der WM-Spitzenreiter in Runde 43 die Strafe beim Reifenwechsel absitzen. Norris bog eine Runde später ab und übernahm damit die Führung. "Das war fair für beide. Das wird Oscar auch verstehen. Man muss bedenken, dass Lando vorher ja auch einen Platz gegen Max verloren hatte, weil das Team einen Fehler beim Boxenstopp machte. Er hat sich den Sieg und die Freundentränen in der Auslaufrunde redlich verdient. Wir freuen uns mit ihm. Gleichzeitig teilen wir aber auch den Ärger von Oscar. Er ist aber ein harter Junge und wird das als Extra-Motivation für den Rest der Saison nutzen."
Wie schaffte es Hülkenberg aufs Podium?
Wie schon in Spielberg hatte Nico Hülkenberg am Start das komplette Feld vor seiner Nase. Nach der Pleite im Qualifying dürften wohl nicht einmal die größten Optimisten im Sauber-Camp daran geglaubt haben, dass der Rheinländer seinen Podiumsfluch ausgerechnet in Silverstone besiegen kann. Doch dann legte der Routinier bei schwierigen Bedingungen eine Aufholjagd ab, an die man sich noch lange erinnern wird.

Nico Hülkenberg konnte endlich den Podiumsfluch besiegen.
Bei der Fahrt von Startplatz 19 bis auf Rang drei half aber auch die Konkurrenz ordentlich mit. Das wechselhafte britische Sommerwetter erwischte einen Gegner nach dem anderen auf dem falschen Fuß. Fünf Fahrer bogen noch vor dem Start in die Box ab, um auf Slicks zu wechseln. Einige Ausrutscher kamen auch noch dazu, wobei Hülkenberg an den meisten Pechvögeln zum Ausfallzeitpunkt schon längst vorbei war.
Den Grundstein legte der Kommandostand mit dem frühen Boxenstopp in Runde 9. "Wir haben von Intermediates auf Intermediates gewechselt. Bei abtrocknenden Bedingungen hat der erste Satz immer mehr abgebaut. Das Team hat gesagt, dass wieder mehr Regen kommen soll", erinnert sich der Pilot. "Innerhalb einer Runde hat sich der Himmel zugezogen. Ich bin einfach reingekommen, ohne viel darüber nachzudenken. Und dann hat es auch schon geregnet. Das war also gutes Timing."
Der Poker spülte Hülkenberg von Platz 11 auf Rang fünf nach vorn. Beim zweiten Restart drehte sich dann auch noch Max Verstappen auf der Piste. Damit kam plötzlich das Podium in Reichweite. Nur an Lance Stroll musste Hülkenberg noch vorbei. Der Kanadier hatte den ersten Schauer ebenfalls gut antizipiert. "Wir hatten eine ähnliche Pace auf den Intermediates. Bei ihm haben die Reifen dann aber etwas schneller nachgelassen, als die Strecke trockener wurde."

Sauber feierte nach dem Rennen die Glanzleistung von Nico Hülkenberg.
In Runde 34 startete der Sauber die entscheidende Attacke. Doch damit war das Podium noch nicht eingetütet. "Hinter mir kam Lewis (Hamilton) schnell vorbei an Lance. Ich wusste, dass er vor seinem Heimpublikum alles geben wird." Für die Sauber-Strategen ging es nun darum, beim letzten Stopp auf Slicks keinen Fehler zu machen. Ferrari attackierte den Podiumsplatz mit einem relativ frühen Wechsel in Runde 41. Doch mit den Softs rutschte Hamilton kurz von der Strecke.
Hülkenberg zog eine Runde später nach und hatte plötzlich zehn Sekunden Vorsprung auf den Verfolger. "Alle Stopps hätten heute nicht besser laufen können. Wir haben immer den perfekten Zeitpunkt erwischt. Das kommt nicht so oft vor", lobte Hülkenberg sein Team. Er konnte es auch verkraften, dass der letzte Service anderthalb Sekunden länger dauert als normal. Teamchef Jonathan Wheatley erklärte, warum: "Da war wohl etwas Nervosität im Spiel."
Für Hülkenberg hatte der Boss nur lobende Worte übrig: "Das war eine der besten fahrerischen Leistungen, die ich jemals in Silverstone gesehen habe. Wenn man das sieht, fühlt es sich fast etwas komisch an, dass es Nicos erstes Podium war. Er hätte das schon seine ganze Karriere lang haben sollen. Er hat seine ganze Klasse ausgespielt und gezeigt, wozu er fähig ist. Jetzt hat er diesen Meilenstein endlich abgehakt."

Beim zweiten Restart stand der Red Bull von Verstappen plötzlich quer zur Fahrtrichtung.
Wie bremste das Red-Bull-Setup Verstappen?
Nach der Qualifikation tippten wohl die meisten Fans auf Max Verstappen als Sieger. Mit einer Wahnsinnsrunde hatte sich der Weltmeister die Pole-Position gesichert. Dabei schimpfte der Red-Bull-Pilot im ersten Training noch über die Balance seines Dienstwagens: "Ich hatte Untersteuern bis zum Mond." Als letzte Hoffnung bauten die Ingenieure einen extrem flachen Heckflügel auf das Auto, der eigentlich nur kurz für das Rennen in Spa getestet, aber nicht im Rennen eingesetzt werden sollte. Doch damit passte plötzlich die Balance.
Verstappen profitierte in der Qualifikation vom starken Wind, der auch noch aus der richtigen Richtung wehte. Dank der Extra-Anströmung von vorne konnte er trotz Mini-Flügel fast mit Vollgas durch die schnellen Kurven Copse, Maggots und Becketts fliegen. Auch im Rennen wäre der Red Bull mit dem Top-Speed-Vorteil eine hart zu knackende Nuss gewesen. Doch dann kam der Regen dazwischen. "Unsere Prognose hatte eigentlich gesagt, dass es mit den Schauern vor dem Rennen vorbei sein sollte", ärgerte sich Horner.
Auf der feuchten Piste wurde Verstappen der fehlende Abtrieb zum Verhängnis. Im Kampf mit den McLaren fehlte der Grip. Beim Versuch beim zweiten Restart den Anschluss an Oscar Piastri zu halten, leistete sich der Niederländer einen Dreher, der ihn auf Platz zehn zurückwarf. Solange noch Wasser auf der Bahn stand, tat sich Verstappen schwer, Boden gutzumachen. "Erst als es am Ende wieder abtrocknete, kam die Pace zurück", erklärte Horner. So betrieb Verstappen mit Platz fünf noch Schadensbegrenzung.

Fünf Fahrer bogen noch vor dem Start an die Boxen ab, um sich Slicks zu holen - darunter auch Leclerc und Russell.
Wie verpokerten sich Russell und Leclerc?
Mit George Russell und Charles Leclerc nahmen sich zwei prominente Piloten selbst aus dem Kampf um das Podium. Beide bogen schon vor dem Start in die Boxen ab, um von Intermediates auf Slicks zu wechseln. Die Ideallinie präsentierte sich zu diesem Zeitpunkt fast auf der ganzen Strecke trocken genug. Doch im letzten Sektor wollte das Wasser irgendwie nicht verdunsten. Die Intermediate-Fraktion fuhr deshalb im Schnitt fünf Sekunden schneller.
"Charles wollte an die Box. Aber wir sollten ihm nicht die Schuld geben. Wir hätten es ja auch ablehnen können. Die Fahrer haben in der Einführungsrunde nicht das ganze Bild. Leider war sein Rennen damit gelaufen", nahm Ferrari-Boss Frederic Vasseur den Piloten in Schutz. Als die Slicks ab Runde 8 endlich schneller wurden, nahte auch schon der nächste Schauer, der alle Piloten auf Intermediates zwang.
Im Gegensatz zu Leclerc konnte sich Russell danach einigermaßen gut nach vorne arbeiten. Der Mercedes-Pilot lag schon wieder auf Rang 7, als er auch beim dritten Boxenstopp von Intermediates auf Slicks in Runde 38 ins Klo griff. Auch hier war die Strecke noch zu feucht. Russell leistete sich einen Highspeed-Ausrutscher über die Wiese, der zum Glück nicht an der Bande endete. "Im Nachhinein ist man immer schlauer. Wir wussten, dass wir nicht das schnellste Auto haben. Da muss man was riskieren", entschuldigte der Mercedes-Pilot die Taktik-Fehler.