Warum war McLaren so überlegen?
McLaren reiste nach den erfolgreichen Testfahrten als Favorit nach Melbourne. Ohne die Wetterkapriolen wäre es wohl auch ein lockerer Doppelsieg geworden. Nach 33 Runden führten Lando Norris und Oscar Piastri bequeme 18,4 Sekunden vor Max Verstappen. Der Weltmeister konnte sich 17 Runden lang im Papaya-Sandwich halten. Dann waren die Hinterreifen am Red Bull zum Slick mutiert.
An den Gummis der McLaren war noch ein Restprofil vorhanden. Das beflügelte Norris und Piastri auf der immer noch feuchten Rennstrecke. Der Zeitvorsprung betrug teilweise 1,5 Sekunden pro Runde. Red-Bull-Teamchef Christian Horner staunte über das starke Reifenmanagement: "Das ist in diesem speziellen Punkt die größte Überlegenheit, die ich je bei einem Rennauto gesehen habe."
Horner glaubt, dass der Konstrukteursweltmeister vor allem von einem perfekt ausbalancierten Auto profitiert. Sein McLaren-Kollege Andrea Stella erklärte, dass man über den Winter vor allem an den Bereichen aerodynamische Effizienz, Fahrwerk und Reifenmanagement gearbeitet habe. Und er gab nach der Machtdemonstration zu: "Wir hätten nicht gedacht, dass wir uns in diesen Disziplinen so stark verbessern können."

Nur der Regen konnte McLaren in Melbourne ärgern. In Bezug auf die Pace konnte niemand den Papaya-Rennern das Wasser reichen.
McLaren war zwischenzeitlich so überlegen, dass am Kommandostand nur noch über den internen Zweikampf diskutiert wurde. Als Piastri bei Halbzeit des Rennens zu Norris aufschloss, kam von der Box der Funkspruch, dass er nicht angreifen soll. Die Stallregie wurde erst wieder aufgehoben, als Piastri nach einem Verbremser 2,5 Sekunden verloren hatte. Stella erklärte die unpopuläre Stallregie: "Lando und Oscar liefen auf überrundete Autos auf. In dieser kurzen Phase wollten wir jedes Risiko vermeiden. Es war immer der Plan, den Kampf wieder freizugeben."
Dass im Ziel dann doch nur 0,895 Sekunden Vorsprung übrigblieben, lag an zwei Safety-Car-Phasen und einer Unterboden-Beschädigung, die sich Lando Norris wohl beim Kiesbett-Ausflug in Runde 44 einfing. Piastri war in dieser Phase ebenfalls vom einsetzenden Regen überrascht worden und rödelte in Kurve 13 in die Wiese. Es dauerte 75 Sekunden, bis sich der Australier im Rückwärtsgang wieder aus der Falle manövrierte. Wie gut der McLaren wirklich war, zeigte der Schlussspurt des Lokalmatadors. In sieben Runden kämpfte sich Piastri von Platz 13 auf Rang neun.
Was lief bei Ferrari schief?
Am Trainingsfreitag sah Ferrari in Melbourne noch wie ein ernstzunehmender Gegner für die McLaren aus. Am Ende mussten die Scuderia-Piloten mit kleinen Punkten zufrieden sein. Schon in der letzten Qualifying-Session ging plötzlich die Puste aus. Sechseinhalb Zehntel fehlten Charles Leclerc im schnelleren der beiden Rennwagen auf die Pole-Position. Das sind Welten in der Formel 1.

Strategie-Fehler und ein suboptimales Setup warfen Ferrari ans Ende der Top Ten.
Teamchef Frederic Vasseur gab zu, dass man nicht das optimale Setup gefunden hatte. Wie man hört, musste Ferrari die Bodenfreiheit erhöhen, um nicht Gefahr zu laufen, die Unterbodenplanke zu weit abzuscheuern. Das kostete Performance. Im Fall von Lewis Hamilton kamen auch noch Eingewöhnungsprobleme dazu. Der Rekordsieger gab offen zu, dass er sich mit seinem neuen Sportgerät noch nicht so richtig angefreundet hat.
Von den Startplätzen sieben und acht wäre im Rennen aber noch ein ordentliches Resultat möglich gewesen. Leclerc erwischte eine gute Anfangsphase und schob sich direkt auf Rang fünf. Doch auf die Pace der McLaren ganz vorne hatten die roten Autos keine Antwort. "Das war heute ein schwieriges Rennen für uns. Aber das war sicher nicht das wahre Bild, das wir im Rest der Saison erwarten. Ich denke, der Freitag war da deutlich repräsentativer", erklärte Vasseur.
Dann kam auch noch eine schlechte Strategie dazu. Als in Runde 44 ein Regenschauer runterkam, verpassten beide Piloten den Zeitpunkt zum Boxenstopp. Das brachte zwar eine kurzzeitige Doppelführung ein, doch nach einem Dreher von Leclerc und dem nicht mehr vermeidbaren Reifenwechsel wurden die roten Autos auf die Plätze neun und zehn zurückgespült.
"In der Phase war das Bauchgefühl entscheidend", entschuldigte Vasseur den Strategie-Fauxpas. "Alle wurden auf den Slicks vom plötzlichen Regen überrascht, auch die McLaren. Die sind sicher auch wegen ihren Ausrutschern direkt reingegangen. Red Bull und wir haben etwas länger gepokert. Am Ende lässt sich immer leicht sagen, dass es die falsche Entscheidung war."

Antonelli fuhr in der Boxengasse neben Hülkenberg, gefährdete dabei aber niemand.
Wie bog Mercedes die Antonelli-Strafe um?
An einem Tag, an dem viele Rookies Fehler machten, konnte der jüngste Fahrer im Feld besonders glänzen. Andrea Kimi Antonelli raste von Startplatz 16 bis kurz vor das Podium auf Rang vier. Außer dem folgenlosen Dreher in der 15. Runde gab der Italiener eine fehlerfreie Vorstellung ab. Und auch die Schiedsrichter konnten den Mercedes-Junioren nicht nachhaltig einbremsen. Dabei brauchte es aber etwas Hilfe von seinem Team.
Was war passiert? Antonelli kassierte eine Fünf-Sekunden-Strafe, weil er beim Verlassen der Boxengasse Nico Hülkenberg behindert haben soll. So wurde der 18-Jährige nach der Zieldurchfahrt kurzzeitig auf Platz fünf zurückgestuft. Die Szene wurde im Live-TV-Bild nicht gezeigt. Teamchef Toto Wolff hatte sie aber sofort nach dem Rennen auf dem Handy parat. Dabei war zu erkennen, dass Antonelli parallel zum Sauber die Boxengasse entlangfuhr, seinen Gegner aber nicht behinderte und niemanden gefährdete.
Die Kommissare bemängelten, dass Antonelli auf dem bemalten Streifen neben der Fast-Lane unterwegs war. Doch das war vom Rennleiter im Fahrerbriefing explizit als legal eingestuft worden. Somit bat Mercedes die FIA nach dem Rennen darum, die Entscheidung noch einmal zu überprüfen. Als entscheidende neue Beweise dienten die Aufnahmen aus dem TV-Helikopter und der Onboard-Kamera, die bei der ersten Urteilsfindung noch nicht zur Verfügung standen. Die Fünf-Sekunden-Strafe wurde schließlich zurückgenommen. Antonelli bekam den vierten Platz zurück.

Nico Hülkenberg erwischte einen Traumstart, hielt sich danach von den Mauern fern und erwischte eine perfekte Strategie.
Wie schaffte es Hülkenberg auf Rang sieben?
Wie Antonelli gelang auch Nico Hülkenberg eine tolle Aufholjagd bei schwierigen Bedingungen. Der Rheinländer war direkt hinter dem Mercedes gestartet, machte durch einen starken Start und Ausrutscher der Konkurrenz aber direkt in der ersten Runde schon fünf Plätze gut. Antonelli konnte der neue Sauber-Mann dann zwar nicht halten. Dafür kam er fast am gesamten restlichen Mittelfeld vorbei.
Schlüssel für den Einzug in die Punkte war das perfekte Timing beim zweiten Boxenstopp. Als der Regen plötzlich einsetzte, holten die Strategen den Piloten sofort zum Wechsel auf Intermediates rein. "Ich habe den Jungs schon vor dem Rennen gesagt, dass ich beim kleinsten Zeichen von Regen direkt reingeholt werden will. Hier in Melbourne ist es mit Slicks auf einer feuchten Strecke sehr undankbar. Der Call war am Ende Gold wert", lobte der Pilot die Strategen.
Die Taktik spülte Hülkenberg kampflos an Pierre Gasly, Yuki Tsunoda und den beiden Ferrari vorbei. Am Ende gab es für den siebten Platz sechs WM-Punkte – mehr als Sauber in der gesamten letzten Saison sammeln konnte. "Dass Nico nach dem letzten Restart die beiden Ferrari hinter sich halten konnte, zeigt auch, dass die Pace heute nicht so schlecht war", freute sich Technikchef James Key.

Isack Hadjar stand nicht am Start, als das Rennen freigegeben wurde. Der Franzose flog schon in der Aufwärmrunde ab.
Wie schlugen sich die Rookies?
Sechs Rookies starteten in Melbourne in ihre erste volle Formel-1-Saison. Doch am Ende kamen nur zwei davon ins Ziel, einer davon auf dem letzten Platz. Umso höher ist der bereits erwähnte vierte Rang von Antonelli einzuschätzen. Hülkenberg hatte fast schon Mitleid mit seinen jungen Kollegen. "Es war sehr leicht heute, von der Strecke zu fliegen. Diese Bedingungen möchte ich nicht bei meinem ersten Rennen haben."
Isack Hadjar flog schon in der Einführungsrunde in Kurve zwei ab. Beim Franzosen flossen die Tränen, als er ins Fahrerlager zurückkehrte. Jack Doohan kam auch nur fünf Kurven weit, bevor er auf der Geraden die Kontrolle über seinen Alpine verlor. Er rutschte wie Hadjar auf den geschwärzten Straßenmarkierungen aus. "Die sollten eigentlich mit spezieller Farbe bemalt sein. Trotzdem boten diese Stellen deutlich weniger Grip", erklärte Hülkenberg.
Dem plötzlichen Regenguss in Runde 45 fielen Gabriel Bortoleto (Kurve 13) und Liam Lawson (Kurve 2) zum Opfer. Beide landeten in der Mauer. Ollie Bearman leiste sich nach seinen beiden Abflügen im ersten und dritten Training auch im Rennen einen Dreher. Der Haas-Pilot sah aber immerhin die Zielflagge. Wie schwierig die Bedingungen am Sonntag im Albert Park waren, zeigen die Abflüge von routinierten Piloten wie Carlos Sainz und Fernando Alonso.