Der Plan schien eigentlich schon abgesegnet. In der Saison 2023 sollten die Reifen höchstens noch auf 50°C vorgeheizt werden. Für das Jahr 2024 haben sich die Teams mit Pirelli darauf geeinigt, die Reifenwärmer sogar ganz abzuschaffen – so wie es bei allen anderen Automobil-Rennserien auf diesem Planeten auch der Fall ist.
Die Maßnahme soll vor allem Geld einsparen. Ein Satz Heizdecken inklusive Kontrolleinheiten kostet pro Team rund eine Dreiviertel-Million Euro. Das Temperieren der Reifen passt außerdem nicht zum klimafreundlichen Image der Formel 1. Wenn die wärmenden Hüllen nächtelang an der Steckdose nuckeln, verschlechtern sie die CO2-Bilanz der Rennserie.

Fahrer-Kritik in Austin
Doch ganz so einfach scheint sich der Plan nicht in die Tat umsetzen zu lassen. Im zweiten Training in Austin durften die Piloten erstmals Protoypen-Reifen für 2023 testen, die nur auf 50°C und nicht wie aktuell erlaubt auf 70°C vorgeheizt waren. Und prompt schimpften die Fahrer über den mangelnden Grip auf den ersten Runden.
Im Drivers Briefing nach dem Training in Austin machten die Piloten ihrem Ärger gegenüber den FIA-Verantwortlichen Luft. Es wurde vor gefährlichen Situationen und möglichen Unfällen gewarnt. Ein Pilot erinnerte sogar an den Crash von Alex Zanardi 2001, der sich wiederholen könnte. Der Italiener hatte sich am Lausitzring in der Boxenausfahrt gedreht und war von einem anderen Auto getroffen worden. Dabei verlor Zanardi beide Beine.
In Mexiko soll dieses Rennwochenende nun direkt der zweite Reifentest von Pirelli mit den 2023er Slicks stattfinden. Dieses Mal äußerten die Fahrer ihrem Unmut schon im Vorfeld. "Der erste Test hat keinen Spaß gemacht", klagte zum Beispiel Max Verstappen. "Wir sind mit 50°C losgefahren und ich habe mich in der Boxengasse beinahe gedreht. Ich verstehe das nicht. Wenn wir die Heizdecken sowieso haben, warum nutzen wir sie nicht maximal aus. Sie sind ja da. Wir müssen ja keine neuen mehr kaufen."
Drift-Show in Mexiko
Beim Gedanken an eine Zukunft ganz ohne Heizdecken findet der Weltmeister deutliche Worte: "Dann haben wir jede Menge Unfälle. Das kann ich jetzt schon sagen. Ein Verbot hätte auch einen großen Einfluss auf den Verschleiß. Wenn die Reifen am Anfang kalt sind, dann rutscht man viel mehr herum. Und dann geht der Reifendruck plötzlich durch die Decke. Wir müssen eine Lösung finden. Da sind sich alle Fahrer einig."
Laut Verstappen waren die Bedingungen in Austin mit den vielen schnellen Kurven noch relativ gut. "Aber lasst uns mal in Monaco fahren. Oder bei halbfeuchten Bedingungen. Da dauert es ein halbes Rennen, bis die Reifen auf Temperatur kommen." Für den Test auf dem rutschigen Mexiko-Asphalt befürchtet Verstappen nichts Gutes: "Das wird eine nette Drift-Show."
Kollege Kevin Magnussen, der ebenfalls für seine klaren Meinungen bekannt ist, schlug in die gleiche Kerbe: "Pirelli, die FIA und die Formel 1 verstehen gar nicht, wie schwierig das für uns ist, Temperatur in die Reifen zu bekommen – selbst, wenn die Heizdecken auf 70°C gedreht sind. Das ist ein echtes Sicherheitsthema."

Formel-1-Autos sind anderes Kaliber
Die Frage lautet, warum in der Formel 1 etwas unmöglich ist, was in anderen Serien problemlos funktioniert. Magnussen hat eine Erklärung für das Problem: "Diese Autos generieren viel Abtrieb und hohe Belastungen für die Reifen. Da müssen die Seitenwände sehr steif sein. Wenn es dann noch kalt ist, dann werden die richtig hart. Bei den Sportwagen funktionieren die Reifen auch bei niedrigeren Temperaturen. Sie heizen sich schneller auf. Ich hatte im letzten Jahr nie ein Problem. 50°C sind hier dagegen ein großes Problem. Und ganz ohne Reifenwärmer wird es riesiges Problem."
Verstappen hat noch eine andere Theorie, warum kalte Reifen in der Formel 1 keine gute Idee sind: "Unsere Autos haben so viel Power. Und sie sind relativ schwer. Ich habe alles versucht, aber es war fast unmöglich zu fahren. Ich bin ja privat auch viel mit GT-Autos auf Rennstrecken unterwegs – ohne Reifenwärmer. Diese Autos verzeihen viel mehr. Da ist das leichter zu kontrollieren. Wenn man mit einem F1-Renner nur ein bisschen zu viel aufs Gas geht, kann das in einem großen Crash enden."
Nach dem verheerenden Feedback der Piloten gehen viele Experten im Fahrerlager mittlerweile davon aus, dass das für 2024 geplante Heizdecken-Verbot verschoben oder ganz abgesagt wird. Und auch die Reduzierung der Temperaturen auf 50°C in der nächsten Saison könnte fallen. Pirelli kündigte nach den Protesten der Fahrer an, dass die 2023er Prototypen im Mexiko-Training wieder auf 70°C vorgeheizt werden dürfen.