F1-Entwicklung: Biegeflügel statt Unterboden-Upgrades

Neuer Fokus auf Biegeflügel
Kein Fortschritt mehr mit Unterboden-Upgrades?

Veröffentlicht am 25.01.2025

Die Formel 1 ist 2024 noch einmal ein gutes Stück schneller geworden. Im Schnitt von 19 vergleichbaren Quali-Bestzeiten waren die Autos um eine Sekunde pro Runde schneller als ihre Vorgänger. Nur in Miami und Baku stiegen die Rundenzeiten an, in Spielberg blieben sie gleich. In einigen Fällen half eine Neuasphaltierung nach, in anderen wie in Katar, weil der Streckenbelag gealtert war und die Randsteine verändert wurden.

In den meisten Fällen haben die Groundeffect-Autos jedoch noch nicht das Niveau der Fahrzeug-Generation von 2017 bis 2021 erreicht. Was hauptsächlich am Gewicht liegt. Ein aktuelles Fahrzeug ist um 46 Kilogramm schwerer als eines der alten Formel. Das sind schon allein mal 1,4 Sekunden. Das höhere Gewicht belastet auch die Reifen mehr. Das bringt noch einmal Abzug.

Die physikalischen Verluste werden durch die besondere Aerodynamik mit ihrem Venturi-Effekt unter dem Auto fast kompensiert. Daraus folgt: Es gab in der Geschichte der Formel 1 noch nie Autos mit so viel Abtrieb. Der Saug-Effekt wirkt sich besonders in den schnellen Kurven aus.

Lance Stroll - Aston Martin - GP Katar 2024 - Formel 1
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Entwicklungskurve immer flacher

Doch diese Autos sind trotz der Verbesserung der Rundenzeiten im Vergleich zu 2023 am Ende ihrer Entwicklung angelangt, glaubt Technik-Guru Adrian Newey. "Es liegt in der Natur der Sache. Ein Groundeffect-Auto ohne seitlich abdichtende Schürzen wie in den 80er Jahren wird immer anfällig für Instabilität sein. Du suchst nach immer mehr Unterdruck unter dem Auto, aber du hast immer mit Leckagen von der Seite zu kämpfen. Das generiert hier und dort Abtriebsverluste, die umso stärker sind, je tiefer dein Auto liegt."

Die Ingenieure bewegen sich deshalb ständig in dem Konflikt, so viel Anpressdruck wie möglich zu produzieren und sich dabei so wenig Instabilität wie möglich einzukaufen. Bei diesem Kompromiss sind viele Teams jetzt fast am Limit angelangt. Ferrari-Teamchef Frédéric Vasseur bestätigt: "Es gibt keine Upgrades mehr, die mehr als vier oder fünf Punkte nutzbaren Abtrieb bringen. Manchmal bist du schon mit zwei Punkten gut dabei."

Alle fürchten bei ihrer Entwicklungsarbeit schädliche Nebenwirkungen wie Bouncing, schwankenden Abtrieb oder Balanceverschiebungen. Mit Ausnahme von McLaren und Haas hatte jeder mindestens eine Ausbaustufe dabei, die einen negativen Effekt hatte.

Adrian Newey - Formel 1  - 2024
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Autos am Limit angekommen

Außerdem schob sich das Feld immer mehr zusammen. Nur zwischen den Top 4 und dem Rest klafft eine größere Lücke von drei bis vier Zehnteln. Irgendwann stoßen bei der Verbesserung des Unterbodens alle auf diesen Konflikt. Und beim Suchen nach dem besten Kompromiss werden die Spielräume naturgemäß immer kleiner. Newey schließt daraus: "Beides ist ein klares Signal dafür, dass wir dem Limit schon ziemlich nahegekommen sind."

Deshalb haben die Ingenieure im abgelaufenen Jahr auch auf anderen Feldern gewildert. Das große Thema derzeit ist die Aero-Elastizität. Da das Reglement absolut starre Komponenten nicht vorschreiben kann, lotet jeder die Grenzen aus, so weit es die FIA-Tests zulassen.

McLaren hat damit angefangen und die Flexibilität gewisser Aero-Teile optimiert. Das Team stützte sich dabei hauptsächlich auf die Expertise von Rob Marshall, der auf diesem Gebiet früher schon bei Red Bull sehr kreativ war. Keiner kontrollierte die Verdrehung des Frontflügels so gut wie McLaren.

Oscar Piastri - Lando Norris - McLaren GP - Italien 2024 - Monza - Formel 1
Wilhelm

Flexi-Wings helfen der Balance

Und das ist bei den Groundeffect-Autos ein Joker. Weil sich der Flügel und seine Flaps bei niedrigen Geschwindigkeiten noch in Normalstellung befinden, spürt der Fahrer in langsamen Kurven vorne den Grip, den er zum Einlenken braucht. Je höher der Speed, desto mehr drehen sich Teile des Flügels nach hinten. Damit verlagert sich das Zentrum des Abtriebs nach hinten und der Fahrer kann sich in schnellen Kurven darauf verlassen, dass das Heck auf der Straße klebt. Diese Balanceverschiebung schafft Vertrauen und bringt Rundenzeit.

Auch am Heckflügel ließen sich die Teams Tricks einfallen, um den Luftwiderstand speziell bei geschlossenem DRS zu verringern. McLaren bog die Flaps an den Außenkanten nach oben, Ferrari zog das Hauptblatt nach unten. Beides wurde verboten. Es schadete weder dem einen noch dem anderen nachhaltig.

Wichtiger war der Frontflügel. Mercedes war das erste Team, das McLaren kopiert hat. Ferrari wartete bis nach der Sommerpause, weil man Angst hatte, die FIA könnte den Zauber schnell verbieten. Die Entwicklung eines geeigneten Flügels ist nicht trivial und kostet Geld, das man im Rahmen des Budgetdeckels nicht verschwenden will. Erst als die FIA McLarens Frontflügel sanktionierte, zog Ferrari nach. Zu spät, wie Vasseur zerknirscht meinte. Red Bull verlegte sich auf Lobbyarbeit gegen die Flexi-Flügel, was nur beim Heckflügel Erfolg hatte.

Max Verstappen - Red Bull - GP Abu Dhabi 2024 - Yas Marina - Formel 1
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Feld rückt noch näher zusammen

In der zweiten Saisonhälfte zogen immer mehr Teams nach. Vor allem aus der zweiten Tabellenhälfte. Deshalb rückten Autos wie der Alpine und der Haas näher an die Top 4 heran, deshalb schaffte Sauber auch den Anschluss ans Feld. Weil die Regeln in dem Bereich im letzten Jahr des bestehenden Reglements nicht verschärft werden sollen, kann man davon ausgehen, dass das Feld noch näher zusammenrückt.

Es wurde aber auch an anderen Orten geforscht. Die Fahrwerkstechniker versuchen, Dämpfer und Federn immer progressiver auszulegen, um das Auto in allen Geschwindigkeitsbereichen stabil in der jeweils bestmöglichen Position zu halten. Newey doziert: "Mechanik und Aerodynamik müssen harmonieren. Das gilt besonders für Groundeffect-Autos." Wer das nicht schafft, ruiniert sich im Dauerbetrieb die Reifen.

Red Bull verfolgte mit dem RB20 einen schlauen Ansatz, der zuerst von Erfolg geprägt war, dann aber unter dem Druck der Konkurrenz offenbar zu den falschen Schlüssen geführt hat. Um nicht so abhängig vom Unterboden zu sein, suchte Red Bull sein Heil in der klassischen Aerodynamik.

"Wir haben uns auf die Effizienz des Fahrzeugs fokussiert, indem wir versucht haben, verwirbelte Luft in Schächten verschwinden und anderswo austreten zu lassen. So wollten wir durch verbesserte Anströmung des Hecks den Luftwiderstand reduzieren. Dafür brauchten wir ein neues Kühlsystem, das uns anderswo Grenzen gesetzt hat", erklärt Technikchef Pierre Waché.

Als McLaren in Miami mit seinem Wunder-Upgrade plötzlich aufschloss, Ferrari und Mercedes immer stärker wurden, begann Red Bull wieder verstärkt am Unterboden zu operieren. Der Schuss ging nach hinten los. "Wir hatten mit einer Entwicklung in Barcelona schon 2023 eine gewisse Instabilität für mehr Abtrieb in Kauf genommen", erinnert sich Teamchef Christian Horner. Dieser Weg wurde ab Mitte 2024 fortgeschritten. Bis selbst Max Verstappen die Balanceprobleme nicht mehr ausgleichen konnte.