Esteban Ocon Interview: "Haas wird ein großes Team"

Esteban Ocon im Interview
„Hoffe mit Haas auf Kampf gegen Mercedes“

Veröffentlicht am 09.10.2024

2020 sind Sie zu Renault gekommen. 2021 gab es einen Sieg mit Alpine in Budapest. Seitdem ging es stetig bergab. Was sind die Gründe?

Ocon: 2022 hatten wir sogar noch das viertschnellste Auto im Feld. Das war ganz ordentlich. Letztes Jahr gab es zwei Podiumsplätze, aber die Leistungen haben schon stark geschwankt. Für den Abschwung gibt es viele Gründe.

Welche konkret?

Ocon: Ich habe ein paar Erklärungen, aber die behalte ich lieber für mich. Ich möchte hier nicht für Schlagzeilen sorgen.

Wie groß war der Schock, in Bahrain in der letzten Reihe zu stehen?

Ocon: Wir waren vor der Saison schon nicht optimistisch. Wir haben im Simulator gemerkt, dass es ein schwieriger Start wird und dass das Auto nicht da ist, wo wir es erhofft hatten. Das hat sich leider in der Realität bestätigt.

Esteban Ocon - Alpine - Formel 1 - GP Bahrain - 29. Februar 2024
Motorsport Images

Wie schwer war es, mit dieser Situation umzugehen?

Ocon: Das war kein Spaß, für niemandem im Team. Bei meiner Unterschrift 2020 hatte ich hohe Erwartungen. Es gab auch große Versprechungen. Die wurden aber in den fünf Jahren nicht zur Realität. Für einen Fahrer ist das nicht leicht, wenn man so viel reinsteckt und dann plötzlich ganz hinten steht.

Was war zuletzt das größte Problem mit dem Auto?

Ocon: Wir hatten immer wieder andere Probleme. Es gab zuletzt zu viele Rennen, die keinen Spaß gemacht haben. Das gilt für das ganze Team. Das muss sich ändern. Ich möchte das Jahr mit einem Erfolg abschließen. Leider gibt es aber nicht mehr viele Rennen. Es wäre ein kleines Wunder, wenn wir das Ruder jetzt noch rumreißen. Ich gebe aber nicht auf.

Sie haben früher beklagt, dass die Ingenieure zu wenig auf die Fahrer hören. Ist der Wechsel des Teams ein Zeichen, dass Sie das Vertrauen komplett verloren haben?

Ocon: Ich habe den Entschluss schon früh gefasst. Fünf Jahre mit einem Team sind in der Formel 1 eine lange Zeit. Wir hatten gute und schlechte Momente. Es war einfach an der Zeit, es mal woanders zu probieren.

Sie haben doch immer betont, wie sehr Sie die Marke lieben.

Ocon: Das stimmt auch. Alpine kommt wie ich aus der Normandie. Die Renault-Gruppe ist Französisch. Ich war immer stolz, das Logo zu tragen. Es ist echt traurig zu sehen, wo wir aktuell liegen. Diese Marke verdient mehr. Wir geben alles, aber es ist nicht genug.

Esteban Ocon - GP Kanada 2024
xpb

Welche Rolle hat die Kollision mit Pierre Gasly in Monaco bei Ihrem Abschied gespielt?

Ocon: Für mich war es schon vorher klar. Wir hatten bereits Gespräche mit anderen Teams geführt. Das hat sogar schon während der Saison 2023 begonnen. Natürlich ist man immer für alles offen, aber für mich war relativ klar, dass ich eine neue Herausforderung suche.

Es ist bekannt, dass Audi Interesse an Ihnen hatte. Warum fiel die Entscheidung gegen ein Werksteam?

Ocon: Da möchte ich nicht ins Detail gehen. Wir haben mit mehreren Teams Gespräche geführt. Am Ende hat mich Haas eindeutig am meisten überzeugt. Mir wurde ein klarer Plan präsentiert, wie es dort weitergehen soll. Ich bin überzeugt, es wird ein großes Team werden.

Waren Sie enttäuscht, dass Sie bei Mercedes keine Chance hatten, trotz gemeinsamer Vergangenheit?

Ocon: Nicht wirklich. Ich freue mich schon auf mein neues Team. Ich hoffe, dass ich mit Haas schon bald mit Mercedes kämpfen kann.

Haas war 2023 noch letzter. Es ist das kleinste Team der Formel 1. Es wirkt nicht gerade wie eine logische Wahl.

Ocon: Mich hat vor allem überzeugt, dass Ayao (Komatsu) das Team anführt. Er ist ein gestandener Renningenieur, der weiß, wovon er spricht. Als ich ihn zum ersten Mal getroffen habe, war ich noch sehr jung. Aber damals schon war ich sehr beeindruckt davon, was er mir für Fragen stellte. Er war dann mein Ingenieur, als ich 2014 meinen ersten Formel-1-Test absolviert habe. Daran erinnere ich mich immer noch gerne. Bei Haas sind aktuell 300 Mitarbeiter beschäftigt. Sie leisten aber mehr als Teams mit 1500 Angestellten. Es gibt große Investments in der Zukunft, die sich auf die Performance auswirken. Das Team hat klare Ziele. Ich will ein Teil davon sein. Ich war schon in der Fabrik und habe gesehen, mit welcher Leidenschaft dort alle arbeiten. Dieses Gefühl habe ich vermisst.

Esteban Ocon - GP Singapur 2024
Wilhelm

Wären Sie auch ohne Ayao Komatsu zu Haas gewechselt?

Ocon: Das kann man nicht so einfach mit Ja oder Nein beantworten. Aber es war Ayao, der mich in den Gesprächen überzeugt hat. Wir haben uns dann auch noch mit Gene (Haas) und Bob (Murray) getroffen. Alle haben den richtigen Ton getroffen.

Mit Ollie Bearman haben Sie einen unerfahrenen Rookie an der Seite. Sind Sie bereit für die Rolle als neuer Teamleader?

Ocon: Ich bin gerne bereit, meine Erfahrung einzubringen und mein Wissen zu teilen. Ich habe jetzt mehr als 150 Rennen auf dem Buckel. Ich weiß, was ich von einem Auto brauche, und ich stecke gerne die nötigen Arbeitsstunden rein. Am Anfang werde ich Ollie wohl mehr fragen als umgekehrt. Er hat mit dem Team schon viele Test- und Trainingseinsätze absolviert. Das sollte uns helfen, gut in die Saison zu starten.

Sie haben 2014 die Formel-3-Meisterschaft gewonnen und dabei Max Verstappen geschlagen. Er hat jetzt drei WM-Titel, Sie fahren bald für Haas. Fühlen Sie sich manchmal unterbewertet?

Ocon: Natürlich würde ich auch gerne um WM-Titel kämpfen. Das bleibt auch mein Ziel. Ich habe immer daran geglaubt, dass die Chance eines Tages kommen wird, wenn ich nur hart arbeite und mich stetig verbessere. An Fahrern wie Jenson (Button) kann man sehen, dass es plötzlich eine Chance geben kann. Es wäre allein schon toll, wenn ich ein Auto hätte, das regelmäßig für Top-5-Plätze gut ist. Letztes Jahr habe ich bei vielen Rennen mit den McLaren auf Augenhöhe gekämpft. Und jetzt fahren die um die Meisterschaft. Alles kann passieren. Man darf die Hoffnung nicht aufgeben.

Esteban Ocon vs. Pierre Gasly - Formel 1 - GP Saudi-Arabien 2023
Wilhelm

Ein Teamchef hat uns mal gesagt, dass man in gewissen Situationen Fahrer wie Sie braucht, um Spannung im Team zu erzeugen.

Ocon: Ich glaube, dass die Leute ein falsches Bild von mir haben. Nach einem Event habe ich mich mal fünf Minuten mit einem jungen Journalisten unterhalten. Danach hat er mir gesagt: ,Weißt du, Esteban, ich konnte dich vorher eigentlich nicht leiden, aber nach unserem Gespräch finde ich dich richtig gut.‘ Das fand ich sehr interessant. Die Leute da draußen können ein Bild von einem bekommen, das überhaupt nicht der Realität entspricht.

Es hat früher aber schon auch mal intern gekracht.

Ocon: In der Formel 1 kämpft man immer am Limit. Und ich hatte einige sehr starke Teamkollegen. Mit denen lag ich in den Qualifikationen und den Rennen immer sehr dicht beieinander. Dann kann es passieren, dass man sich mal berührt. Das ist Racing. War es jemals ein großes Drama für das Team? Nein, wir haben deshalb nie Plätze in der Teamwertung verloren.

Otmar Szafnauer war aber nicht immer begeistert.

Ocon: Aber wir haben trotzdem den vierten Platz in der Teamwertung geholt. Ich hatte leider nie eine Chance in einem Auto mit Weltmeisterpotenzial. Aber ich hatte Weltmeister an meiner Seite im Team. Natürlich will man sich nicht berühren. Aber wenn beide alles geben, auch für das Team, dann kann so was schon mal passieren. Und wir haben ja auch jede Menge Punkte gesammelt.

Sie sind einer der besten Freunde von Mick Schumacher im Fahrerlager. Was verbindet Sie beide?

Ocon: Wir kommen einfach sehr gut miteinander aus. Mick ist einer meiner besten Freunde, nicht nur ein Kollege unter Rennfahrern. Wir wohnen nicht weit weg voneinander und haben schnell gemerkt, dass wir uns auch außerhalb des Fahrerlagers treffen wollen. Das hat mit gemeinsamem Sport, wie Tennis oder Squash, begonnen. Er ist einfach die netteste Person, die ich je getroffen habe. Das Gleiche kann ich auch über seine Familie sagen. Es ist schade, dass er keinen Platz in der Formel 1 hat. Er verdient es, in der Startaufstellung zu stehen.

Haben Sie schon mit ihm über seine Erfahrung bei Haas gesprochen?

Ocon: Noch nicht, aber das habe ich diesen Winter auf jeden Fall noch vor. Er weiß sicher viel über das Team. Natürlich war es damals etwas anders mit Günther (Steiner) als Teamchef, aber der Großteil des Technikteams dürfte noch sehr ähnlich aussehen.