Wie wichtig war der Sieg in Mexiko für Sie persönlich?
Sainz: Dieser letzte Sieg bedeutet mir sehr viel, weil ich Ferrari nicht verlassen wollte, ohne noch einmal mit diesem Team gewonnen zu haben. Das hätte beim Abschied einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen. Mit der Aussage, dass ich noch ein Rennen gewinnen will, habe ich mich natürlich vorher selbst unter Druck gesetzt. Aber geschadet hat es offenbar nicht.
Bedeuten Ihnen manche Siege mehr als andere?
Sainz: Es geht eher darum, in welcher Situation sie passiert sind. Der erste Sieg in Silverstone ist natürlich immer der emotionalste. Singapur hat mir aber auch viel bedeutet, wegen des Zustands, in dem sich die Formel 1 mit der Dominanz von Max befand. Es gab nur diese einzige Chance, ein Rennen zu gewinnen. Australien war besonders wegen der Blinddarmentzündung kurz davor und der Hamilton-Meldung, die auch nur einen Monat zurücklag. Da wollte ich ein Zeichen setzen. In Mexiko war meine ganze Familie vor Ort. Vielleicht war es die letzte Gelegenheit, ein Rennen für Ferrari zu gewinnen. Alle Siege haben also eine spezielle Bedeutung, ich bin stolz auf alle vier.
Bereuen Sie irgendwelche verpassten Chancen bei Ferrari?
Sainz: Es gab ein paar Wochenenden, an denen Charles nur einen kleinen Tick schneller war. In Monza lag er im Qualifying sechs Tausendstel vor mir. Da überlegt man schon: Hätte man vielleicht einen kleinen Fehler hier und da nicht gemacht, wäre man mit der Ein-Stopp-Strategie nach vorne gekommen, und hätte man dann mit Ferrari vor den heimischen Fans gewonnen? Ich kann von mir aber behaupten, dass ich immer mein Bestes gegeben habe. Und selbst an den Wochenenden, an denen Charles mehr rausgeholt hat, war ich nie weit weg. Wir haben uns gut ergänzt.

In Mexiko kam es zum ersehnten Sieg. War es der letzte Erfolg mit Ferrari?
Es schien, als haben Sie in den letzten Rennen noch einmal zugelegt. Woran lag das?
Sainz: In einer Saison mit 24 Rennen ist es schwierig, das Niveau hochzuhalten. Man sieht immer wieder, dass Fahrer schwächeln. Da fehlt meist nicht viel. Es ist schwer, jedes Mal an seine Leistungsgrenze zu gehen. Man hat mal gute und schlechte Momente. Dieses Jahr habe ich mich in Singapur überhaupt nicht wohlgefühlt. Die Reifen haben nicht gepasst, dann kam der Fehler im Qualifying, ich musste kämpfen. Ich brauchte danach einen Reset. Ich musste in der dreiwöchigen Pause wieder zu meiner Form finden, um mich gut von Ferrari zu verabschieden.
Gibt es etwas Konkretes, das Sie geändert haben?
Sainz: Das ist eher eine Kopfsache. Wenn es da oben nicht passt, kann man sich auch nicht verbessern. Ich wusste, dass mehr möglich ist. Wenn man mit dieser Einstellung rangeht, kommt alles andere automatisch. Man stellt sich die Frage, was man tun kann, damit das ganze Rennwochenende besser läuft. Dann findet man mit den Ingenieuren auch irgendwann Lösungen.
Nach dem Upgrade von Barcelona war Ferrari ein paar Rennen nicht siegfähig. Hätten Sie sonst vielleicht um die Fahrer-WM kämpfen können?
Sainz: In dieser Phase war natürlich keiner happy. Wir waren auf diese Situation nicht vorbereitet. Nach dem starken Saisonstart haben alle gedacht, dass Ferrari jetzt auf dem richtigen Weg ist. Die Entwicklung lief gut, wir haben starke Rennen abgeliefert, alles ging in die richtige Richtung. Dann haben wir dieses Upgrade gebracht, das nicht funktionierte. Mir hat nicht gefallen, wie sich die Balance verändert hat und dass es wieder zu Bouncing kam. Das habe ich auch deutlich so geäußert. Das Team hat aber gut darauf reagiert. Sie haben die Verantwortung übernommen. Es ging noch mal zurück in den Windkanal, wo das Problem lokalisiert wurde. Es hat ein paar Rennen gedauert, was normal ist, aber sie brachten eine gute Lösung für das Ende des Jahres.

In Monza konnte Ferrari die Tifosi mit einem Sieg beglücken. Für Carlos Sainz war es trotzdem eine verpasste Chance.
Haben Sie in Monza direkt gemerkt, dass das Upgrade hilft?
Sainz: In Spanien hatte ich sofort gespürt, dass irgendwas nicht funktioniert. In Monza und in Singapur war ich eher zurückhaltend, weil ich gar keine Veränderung fühlen konnte. Ich habe immer gewarnt, dass die Steigerung vielleicht an den besonderen Strecken liegt und dass wir bis Austin warten müssen. Die Unterschiede sind so klein, dass man es kaum merkt. Erst in Austin war dann klar, dass es funktioniert.
Sie haben gesagt, wie wichtig der Kopf ist. Wir haben selbstsichere Fahrer wie Verstappen und Fahrer wie Norris, die eher selbstkritisch sind. Wo stehen Sie?
Sainz: Das ist nur das äußere Bild. Innen kann es bei einem Piloten ganz anders aussehen. Man kann als Fahrer immer etwas damit spielen, wie man von außen betrachtet wird. Ich möchte damit nicht sagen, dass Max nicht so ist. Lando hat sich dafür entschieden, ein bisschen mehr von sich preiszugeben. Ich weiß nicht, ob ich irgendwo dazwischen oder mehr in eine Richtung liege. Man sollte aber, wie gesagt, mit solchen Analysen vorsichtig sein. Die Fahrer sind durchaus in der Lage, das öffentliche Bild auf eine gewisse Art zu manipulieren.
Ihr Vater kommt aus einer Generation, in der einem das Eingestehen einer Schwäche als Schwäche ausgelegt wurde. Hat er Ihnen beigebracht, Schwächen nicht zu zeigen?
Sainz: Das ist eine gute Frage. Er hat mir immer gesagt, dass ich mir meine Schwächen selbst eingestehen muss. Ich solle meine Fehler analysieren, aber dann auch wieder schnell abhaken. Ich denke nicht, dass er mir gesagt hat, dass ich Schwächen besonders aktiv kommunizieren soll. Aber er hat mir den Rat gegeben, immer offen und ehrlich zu sein und keinen Bullshit zu verbreiten. Beim Thema Stärken und Schwächen war es wohl eher so, dass man lieber im Stillen selbst daran arbeiten soll.

Vater Carlos Sainz Sr. ist nicht mehr so oft bei den Rennen dabei, steht seinem Sohn aber immer mit Rat und Tat zur Seite.
Zu Beginn Ihrer Karriere hat Ihr Vater im Hintergrund die Fäden gezogen. Ist er immer noch ins tägliche Renngeschäft involviert?
Sainz: Er ist immer noch mein größter Unterstützer, und ich weiß, dass ich auf seinen Rat zählen kann. Er taucht jetzt aber nur noch dann auf, wenn ich ihn brauche. Das ist viel seltener als früher. Jedes Jahr wurde es weniger. Aber in wichtigen Momenten, wie zum Beispiel nach Singapur, da frage ich ihn nach seiner Meinung. Dann führen wir eine offene Unterhaltung. Es ist eine Stärke meines Vaters, dass er immer sehr ehrlich ist. Wenn er weniger an der Strecke ist, hat er von außen eher das große Bild im Blick. Das ist sehr hilfreich, weil ich manchmal zu tief im Tunnel drinstecke und er die Vogelperspektive hat.
In Deutschland hat Michael Schumacher als erster erfolgreicher Formel-1-Pilot alle anderen danach überschattet. Wie ist das mit Fernando Alonso? Sind Sie schon aus seinem Schatten herausgetreten?
Sainz: Nein, das wäre naiv zu behaupten. Solange Fernando in der Formel 1 fährt, wird er für die Spanier immer der Fernando bleiben, der die Formel 1 erobert und neue nationale Rekorde gesetzt hat. Die Leute in Spanien verehren Fernando immer noch. Ich habe zwar mit Ferrari Rennen gewonnen, was schon viel ist, aber so lange er hier ist, werde ich immer ein bisschen in seinem Schatten bleiben. Das ist aber auch verständlich. Ich war ja selbst zehn Jahre lang sein größter Fan. Ich verstehe also, warum sich alle Fans, die Zeitungen und die TV-Sender so verhalten.
Kommen wir zu Ihrer Zukunft: Warum haben Sie sich für Williams und nicht für Audi entschieden?
Sainz: Das war keine leichte Entscheidung. Bis zu dem Tag, als ich unterschrieben habe, gab es mehrere gute Optionen. Am Ende musste ich meinem Instinkt folgen. Ich habe den allergrößten Respekt für die Marke Audi. Mein Vater hat mir tausendmal erklärt, wie gut sie sein werden. Er ist sich zu 100 Prozent sicher, dass Audi in der Zukunft stark wird. Ich wollte zwar helfen, etwas aufzubauen, aber gleichzeitig auch kurzfristig gute Ergebnisse einfahren. Da war Williams meiner Meinung nach die beste Option. Ich stehe nach wie vor zu dieser Entscheidung. Die Zeit wird zeigen, ob ich richtig lag. Mein Bauchgefühl hat mir gesagt, dass dieses Projekt mit James Vowles kurz- und mittelfristig die beste Lösung ist.

Beim gemeinsamen Beginn ihrer Karriere bei Toro Rosso knisterte es hinter den Kulissen. Mittlerweile sind Max Verstappen und Carlos Sainz reifer geworden.
Sie haben schon bei Renault und McLaren geholfen, ein Team nach vorne zu bringen. War das ähnlich wie die Aufgabe jetzt bei Williams?
Sainz: Das ist sehr gut vergleichbar. Ich habe das Gefühl, dass ich bei Williams zu einem ähnlichen Zeitpunkt beginne wie damals bei McLaren. Das Team hat die schlimmste Phase schon hinter sich, wenn ich dort ankomme. Sie befinden sich auf dem Weg nach oben. Mein Ziel ist es, diesen Aufwärtstrend zu beschleunigen. Als ich bei McLaren weggegangen bin, da wusste ich, dass ich ein gutes Team verlasse und dass sie Erfolge feiern werden. Ich bin happy, dass mein Bauchgefühl drei Jahre später bestätigt wurde. Aus den Gesprächen spüre ich, dass bei Williams gute Leute arbeiten, die eine starke Basis bauen und das Team wieder konkurrenzfähig machen.
Auch Red Bull hat überlegt, Sie zu verpflichten. Aus früherer Toro-Rosso-Erfahrung befürchtete Helmut Marko aber, dass es mit Verstappen und Ihnen nicht funktioniert. Hat er da recht?
Sainz: Ich denke, dass ich gut mit ihm auskommen würde. Damals waren wir 16 und 19 Jahre alt. Mittlerweile sind wir deutlich reifer geworden. Bei Toro Rosso stecken sie dich in ein Team und sagen: Kämpft gegeneinander, dann sehen wir, wer der Beste ist und wer zu Red Bull aufsteigt! Das ist der Grund, warum Toro Rosso existiert. Man fährt dort nicht gemeinsam für die Teamwertung, sonst würde sich das Verhalten der beiden Piloten komplett ändern. Man sieht es an Charles und Lando, meinen beiden letzten Teamkollegen – da gab es nie Probleme. Wenn meine Beziehung zu Max also der Grund sein sollte, dass ich nicht dort gelandet bin, dann sage ich, dass es keine Probleme gegeben hätte. Hinge die Entscheidung nur davon ab, dann wäre es einfach falsch. Das habe ihnen aber auch schon gesagt.
Welche Ferrari-Modelle, die in der Garage stehen, fahren Sie am liebsten?
Sainz: Ich muss gestehen, dass ich eigentlich nie ein großer Fan von Straßenautos war. Ich habe jetzt vier Ferraris, aber nichts bringt mir so viel Freude wie ein Formel-1-Auto. Dagegen kommt nichts an. Für mich ist eher wichtig, wie ein Auto aussieht. Ich habe mir das erste eigene Auto gekauft, als ich vor zwei Jahren mein erstes Rennen gewonnen habe. Das war der 812 Competizione. Das ist mit Abstand mein Favorit. Ich hoffe, dass ich mir noch den neuen F80 kaufe. Der gefällt mir auch sehr gut. Dazu habe ich noch den SF90 XX und den Daytona SP3. Ich gehe beim Kauf also mehr nach dem Aussehen.
Waren Sie schon einmal mit einem dieser Autos auf der deutschen Autobahn?
Sainz: Nein, lieber nicht. Auch wenn es dort erlaubt ist, schnell zu fahren, gebe ich den Leuten immer den Rat, lieber ein bisschen mehr Geld in die Hand zu nehmen und es für einen Track-Day in einer sicheren Umgebung auszugeben. Wer Spaß haben will, soll auf die Rennstrecke. Auf öffentlichen Straßen sollte es nur darum gehen, so sicher wie möglich von Punkt A nach Punkt B zu kommen.
Waren Sie denn schon mal auf der Nordschleife?
Sainz: Ja, natürlich. Aber leider nur mit billigen Mietwagen und nicht mit richtig guten Autos.