Bernd Mayländer im Interview: Safety-Car-Fahrer in der Corona-Zeit

Bernd Mayländer im Interview
Corona-Zeit stressiger als F1-Wochenende

Zuletzt aktualisiert am 16.05.2020

Erleben Sie gerade eine Phase der Entschleunigung?

Mayländer: Null. Das letzte Mal, dass ich für längere Zeit wirklich entschleunigen konnte, war nach der Schule. Da wusste ich nur, dass ich am 8.8.1988 meine Ausbildung anfangen werde. Ich hatte acht oder neun Wochen frei, war in Europa unterwegs. Mal da, mal da. Jetzt hast du eigentlich auch frei, kannst aber null entschleunigen. Weil du von heute auf morgen in etwas Neues reingedonnert wirst. Was ich sicher ein bisschen kannte, aber nicht in dieser Intensität. Formel-1-Wochenenden sind für mich einfacher.

Sie hüten ihre beiden Kinder zu Hause.

Mayländer: Das ist ein Full-Time-Job. Du musst einteilen, wann du sorgenfrei mal kurz um die Ecke kannst. Meine Jungs sind zwei Jahre alt. Zwei Buben in dem Alter bauen dir die komplette Hütte auseinander. Wenn ich nur im Haus unterwegs bin, laufe ich 15.000 Schritte am Tag – ohne Sport. Und das Haus ist nicht riesengroß. Du bist nur auf der Pirsch, nur am Hinterherjagen.

Dann geht es mal wieder eine halbe Stunde, wenn du sie kassierst und begeistern kannst: Eisenbahn, Rennbahn bauen. Gymnastik mache ich so viel wie noch nie in meinem Leben: Spielen, Bodenkrabbeln. Man sollte eigentlich Videos machen, und sie ihnen später mal vorspielen: Das habt ihr mit Papa während der Corona-Phase gemacht. Die Erfahrung kann dir keiner nehmen. Die Erfahrung würdest du sonst nie machen, wenn du unterwegs wärst.

GP Belgien 2018 - Safety Car - Bernd Mayländer - Formel 1
Wilhelm

Ihre Frau ist tagsüber bei der Arbeit?

Mayländer: Meine Frau ist Logopädin und hat zwei Praxen in der Umgebung, die geöffnet haben und vollbesetzt sind. Die Kitas sind zu. Ich hoffe nicht, dass das bis zu den Sommerferien so bleibt. Weil es sonst mit den Zweijährigen schwer wird. Da bist du raus aus dem System, und vollständig daheim. Ich bin mehr oder weniger in Vollisolation. Abgesehen von ein paar Spaziergängen, Mountainbiken, mit Kind und Hund spazieren gehen. Ich halte mich an alle Vorschriften. Und ich versuche, meiner Frau den Rücken freizuhalten für ihr Geschäft.

Wann stehen Sie auf, wann fallen Sie abends ins Bett?

Mayländer: Im Normalfall zwischen 6.30 und 7 Uhr. Wir haben es jetzt ein bisschen später getaktet. Da hat die Zeitumstellung geholfen. Abends kommt es ab und zu vor, dass ich gar nicht mehr rauskomme, wenn ich die Jungs ins Bett bringe. Dann sprechen wir von 19.30 oder 20 Uhr. Ansonsten zwischen 21.30 und 22.30 Uhr. Ich muss an alle Frauen von Motorsportlern denken, die extrem viel unterwegs sind. Alle Achtung, wie ihr das immer hinbekommt, während wir auf den Rennstrecken der Welt sind. Das ist eine große Herausforderung. Man kann nicht überall Profi sein. Aber ich mache gerade eine Schnellausbildung dorthin. Das ist sehr anstrengend. Andererseits aber natürlich auch schön, seine Buben aufwachsen zu sehen.

Wie verfolgen Sie die Nachrichten?

Mayländer: Ich überfliege sie zwei, drei Mal am Tag. Ich habe trotz Kinderstress ja doch ein bisschen Zeit zu schauen, was es gerade Neues gibt. Und wenn mich etwas interessiert, lese ich es irgendwann später.

Aber Sie lesen mehr als sonst?

Mayländer: Klar. Seit ich nach Australien geflogen bin, bringen meine Bildschirmzeiten am Telefon jede Woche neue Rekorde. Ich glaube aber, so geht es uns allen. Ich musste mein Telefon nie so oft aufladen.

Wie steht es um Sport?

Mayländer: Mountainbike und Laufen. Alle zwei Tage. Aber das würde ich gerne intensivieren, sofern ich die Zeit hätte. Jetzt wäre die schönste Zeit dazu. Es sind die schönsten Wälder, alles blüht. Wenn nicht jetzt, wann dann? Ich muss aber auch sagen. Es fehlt mir gerade etwas der Antrieb. Ich mache zwar normal Sport, es könnte aber mehr sein.

Michael Masi - FIA - Bernd Mayländer - Formel 1
xpb

Wie ist der Kontakt zur FIA?

Mayländer: Michael Masi und ich tauschen uns ein bis zwei Mal in der Woche aus. Entweder telefonieren wir oder schreiben uns – per E-Mail oder WhatsApp. Das sind Updates. Aber es gibt nichts wirklich Relevantes für mich. Klar, die FIA muss das Reglement umschreiben und sich mit vielen wichtigen Dingen auseinandersetzen. Aber die betreffen mich nicht.

Ich spreche hin und wieder mit AMG, was es Neues gibt. Aber da ist jetzt gerade auch noch alles im Schlafmodus. Ansonsten tausche ich mich mit ehemaligen Gefährten und Teamkollegen aus: Bernd Schneider und Markus Winkelhock zum Beispiel. Ich höre da eine Tendenz raus, die stark zur Gartenarbeit geht. Ich habe das auch ein bisschen gemacht. Aber für richtige Gartenarbeit bräuchte ich mehr Zeit. Und die habe ich mit den Kids nicht. Die Kita ist meine Hoffnung, dass ich etwas mehr Luft bekomme.

Beziehen Sie aktuell ein Gehalt?

Mayländer: Ich bin Freelancer. Ich werde nach Auftrag, also nach Rennwochenende bezahlt. Ich kann nur dann eine Rechnung stellen, wenn ich eine Leistung erbracht habe. Und da das momentan nicht möglich ist, weil es keine Rennen gibt, bekomme ich kein Geld. Das musst du überbrücken. Ich habe anfangs reagiert, weil es absehbar war und versucht, die Kosten runterzufahren, bis der Betrieb wieder anspringt.

Ich fühle mich immer noch sicher, hoffe aber für uns alle, dass die Wirtschaft dementsprechend wieder anspringt. Ich bin in einer noch relativ komfortablen Situation. Aber es gibt viele Kollegen, die Instruktoren, die auf Events angewiesen sind. Da ist das Polster nicht so üppig. Für die bricht eine Welt zusammen. Das ist schon existenzbedrohlich für viele.

Die Formel 1 versucht, 15 bis 18 Rennen ins zweite Halbjahr zu pressen. Wie würde Sie ein straffer Rennkalender tangieren?

Mayländer: Ich habe langsam mein Zimmer aufpoliert. Ich kann keine alten Trophäen mehr abstauben. So viele habe ich nicht. Ich würde jetzt schon gerne wissen, wann es los geht. Die sportliche Hoffnung liegt bei mir auf Österreich. Zwei Rennen? Warum nicht, wenn es sich umsetzen lässt. Ich glaube, wir werden in diesem Jahr völlig umdenken müssen. Normal ist dieses Jahr nichts mehr. Wenn alle mitziehen und es als Herausforderung sehen, kann es etwas Neues bringen. Wir haben jahrelang nachgedacht, was man ändern könnte. Jetzt müssen wir es tun. Und vielleicht ist 2020 einfach ein Versuchsjahr. Vielleicht finden wir einen neuen Modus für die Zukunft. Ich sehe in der ganzen Krise sehr viele Chancen. Aber klar: Wir sind gebunden an die Politik. Das muss man berücksichtigen.

Für mich in meinem Arbeitsrhythmus wird sich nicht viel ändern. Klar, vielleicht habe ich deutlich mehr Rennen an einem Wochenende. Da müssen wir schauen, was mit Formel 2, Formel 3 und Porsche Supercup passiert. Ich bin optimistisch, dass wir das alles hinkriegen. Die Formel 1 ist so professionell. Sonst wäre sie nicht die Formel 1. Nur der Startschuss fehlt.

Formel 1 - GP Österreich - Spielberg - 2019
Red Bull

Rennen ohne Fans scheinen die Lösung.

Mayländer: Ich glaube, die meisten haben sich damit schon abgefunden, dass es in diesem Jahr Rennen ohne Zuschauer geben wird. Im Fußball hat man es schon gesehen. Mal sehen, wie es bei einem Formel-1-Weltmeisterschaftslauf sein wird. Ich stelle mir das komisch vor. Da haben wir vielleicht mal die Chance, in den Paddock Club zu dürfen.

Sie wären bereit?

Mayländer: Ich brauche keine acht Wochen Zeit, um mich auf etwas vorzubereiten. Meine Renntasche liegt gepackt im Lkw.

Sie werden fürs Autofahren bezahlt. Sitzen Sie derzeit eigentlich ab und zu auch hinterm Steuer?

Mayländer: Ich glaube, ich bin in den letzten fünf Wochen mit meinem Dienstwagen keine 30 Kilometer gefahren. Seit zwei Wochen habe ich das Ding nicht einmal angelassen. Das Auto steht in der Garage, frisch geputzt. Ich wüsste nicht, wann ich zuletzt zwei Wochen nicht hinterm Steuer gesessen bin. Corona kam zur falschen Zeit. Ich habe auch noch Winterreifen drauf. Sommerräder gibt es keine, weil es ein Dienstwagen ist. Da müsste ich zum Reifendienst von Daimler.

Das Interview mit Bernd Mayländer hatten wir bereits im April geführt.