30 Kilometer südöstlich von Zürich liegt die 12.000-Einwohner-Gemeinde Hinwil. Eigentlich geht es hier eher ruhig und beschaulich zu, wäre da nicht die Formel-1-Fabrik von Sauber, die direkt am Ortseingang am kleinen Wildbach liegt. Hier werden jedes Jahr zwei der schnellsten Rennwagen der Welt entwickelt und gebaut.
Zürich und sein malerisches Umland locken zwar jedes Jahr tausende Touristen an, doch wenn es darum geht, qualifiziertes Formel-1-Personal anzuheuern, hat Sauber mit einem echten Standortnachteil zu kämpfen. Die Lebenskosten in der Schweiz sind bekanntermaßen hoch. Entsprechend hoch ist auch das Lohnniveau.
Dank der Einführung des Budget-Caps, des angekündigten Kompensationsfaktors und frischen Investitionen von Neubesitzer Audi sind die Lohnkosten alleine aber nicht das Problem. Viel ärgerlicher ist, dass die großen Talente aus den englischen Hochschulen natürlich erst einmal bei den heimischen Teams auf der britischen Insel anklopfen.

Die Sauber-Zentrale platzt aus allen Nähten. Mit der neuen England-Filiale will man neues Personal anlocken.
Britische Teams mit Standortvorteil
Und selbst gestandenes Formel-1-Personal ist schwer zu akquirieren. Wer in England erst einmal Wurzeln geschlagen hat, lässt sich auch mit guten Argumenten und viel Geld nur schwer zum Umzug in die Schweiz überreden. Eine Familie muss schon eine gewisse Abenteuerlust und Flexibilität mitbringen, um den Schritt in ein fremdes Land mit einer fremden Sprache zu wagen.
Neben Sauber sind nur noch Toro Rosso und Ferrari auf dem Kontinent stationiert. Das B-Team von Red Bull hat bereits einen großen Teil seiner Entwicklungskapazitäten nach Milton Keynes verlegt, wo man nun in direkter Nachbarschaft zur großen Schwester arbeitet. Die Kommunikation und die Zusammenarbeit mit dem Rest der Mannschaft in der Zentrale im italienischen Faenza stellt immer noch eine Herausforderung für die Teamführung dar.
Im Vergleich zu Sauber tut sich Ferrari mit seiner exponierten Lage in Maranello aus zwei Gründen etwas leichter. Die Strahlkraft der Marke überwindet manche Bedenken eines Umzugs. Und im Gegensatz zur Schweiz gibt es in Italien mittlerweile mehrere Universitäten, die ganz gezielt Ingenieure für den Motorsport ausbilden. Viele führende Aerodynamiker in der Szene kommen mittlerweile aus Italien.

Die meisten Teams haben Formel-1-Basen in einem 50-km-Radius rund um Silverstone - auch das neue Cadillac-Team.
Audi plant F1-Ableger im "Motorsport Valley"
Um nicht dauerhaft mit einem Nachteil gegen die englischen Teams zu kämpfen, haben sich die neuen Sauber-Eigentümer von Audi jetzt entschieden, eine Dependance im Heimatland der Formel 1 aufzubauen. Wie der Rennstall am Dienstag (4.2.) bekanntgab, will man noch in diesem Jahr ein Technologie-Zentrum im sogenannten "Motorsport Valley" errichten.
In der Region in Zentralengland, auf halbem Weg zwischen London und Birmingham, haben alle acht britischen Teams ihre Heimat. Und auch die Zulieferindustrie hat hier entsprechende Kapazitäten aufgebaut. Insgesamt sind in dem Gebiet rund um Silverstone nur durch die Formel 1 mehr als 25.000 Jobs entstanden, die in den meisten Fällen auch gut bezahlt werden.
Wenn Audi ab 2026 als Werksteam gegen die Großen der Branche antritt, will man sich ebenfalls an diesem Talent-Pool bedienen, um die eigenen Entwicklungsressourcen zu verstärken. Das Ziel lautet, schon im Sommer 2025 eine eigene Anlage im "Motorsport Valley" zu beziehen. Als mögliche Standorte wurden Bicester, Silverstone und Milton Keynes genannt.
Laut Audi-F1-Projektleiter Mattia Binotto soll der Aufbau einer neuen Filiale aber nicht bedeuten, dass man die Zentrale in Hinwil aufgibt: "Wir freuen uns, dass wir mit dem Technologie-Zentrum in England unsere Basis in Hinwil verstärken und ergänzen können", erklärte der Italiener.

Nachdem Toro Rosso und Sauber in England investieren, ist Ferrari das einzige F1-Team ohne Brückenkopf auf der britischen Insel.
Audi investiert in Formel-1-Projekt
Sauber muss bis zur Transformation in das Audi-Werksteam noch kräftig wachsen. Die Belegschaft soll von 600 auf 900 Mitarbeiter ausgebaut werden. Das geht nur mit der Nähe zum größten Motorsport-Markt der Welt. "Durch die Erweiterung unserer Aktivitäten nach England bleiben wir am Puls des dynamischsten Motorsportökosystems der Welt. Unser Ziel ist es, ein Netzwerk mit Hinwil zu schaffen, das die Innovation und Performance vorantreibt", so Binotto.
Die Idee einer Auslandsfiliale ist nicht neu. Ferrari baute in den 80er- und 90er-Jahren zwei Ableger in England, nur um den damaligen Star-Konstrukteur John Barnard verpflichten zu können. Renault übernahm von Benetton die Chassis-Schmiede in Enstone. Nur die Motoren kamen noch aus Frankreich. Bald auch nicht mehr.
Mercedes hat sein komplettes Formel-1-Programm immer von England aus betrieben. Die Motoren werden in Brixworth gebaut, die Autos in Brackley. Selbst Neueinsteiger Cadillac hat schon eine Außenstelle in Silverstone. Es wäre unmöglich, genügend qualifiziertes Personal in die USA zu locken.