Michael Andretti läuft gegen eine Wand. Er hat einen Formel-1-Einstieg auf eigene Faust probiert und stieß auf Ablehnung. Er hat im zweiten Anlauf General Motors ins Boot gezogen und wird immer noch nicht mit offenen Armen empfangen. Dabei hätte er mit Renault einen technischen Partner, mit amerikanischen Investoren das nötige Kleingeld und einen Namen, den jeder kennt. Eigentlich ein Selbstläufer.
Dass sich FIA-Präsident Mohammed Ben Sulayem auf Andrettis Seite schlägt, macht die Sache nicht einfacher. Im Gegenteil. Andretti gerät damit in das Sperrfeuer eines Machtkampfs, der schon seit einer Weile im Untergrund schwelt. Die Formel 1 schreibt eine Erfolgsstory, und der Verbandschef würde gerne einen Teil der Lorbeeren an seine eigenen Fahnen heften. Dafür zündet er die ein oder andere Bombe, um zu zeigen, wer die Hosen anhat.
Er tut das am liebsten so, dass er das F1-Management in seine Anschläge vorher nicht einweiht. Andretti war sicher nicht sonderlich gut beraten, sich auf diesen Konfliktkurs einzulassen. Von der Pressekonferenz mit Michael Andretti und GM-Chef Mark Reuss wusste im Formel-1-Hauptquartier keiner etwas.

Noch fehlt ein Bewerbungsprozess
Ben Sulayems Unterstützung ist keine garantierte Eintrittskarte. Zumal es in den Statuten im Moment noch gar keinen expliziten Bewerbungsprozess gibt. Man weiß nur, dass ein Antragsteller eine 200-Millionen-Dollar-Gebühr bezahlen muss, die unwiederbringlich an die zehn etablierten Teams verteilt wird. Und dass er der FIA und der Formel 1 beweisen muss, dass er technisch, finanziell und personell in der Lage ist, ein Formel-1-Team über einen längeren Zeitraum an den Start zu bringen. Welche Kriterien das genau sind, steht nirgendwo geschrieben. Was 2016 für Haas galt, ist sieben Jahre später längst überholt.
Die FIA kann auch nicht nach Gutdünken ein Team durchwinken und einen anderen Bewerber links liegen lassen. Laut Formel 1 gibt es derzeit mehrere Interessenten. Kürzlich war der Name des Hongkonger Milliardärs Calvin Lo durch das Netz gegeistert. Doch wenn am Ende die Qual der Wahl bleibt, dann wird sich schwerlich kaum einer in der Rennsportwelt finden, dessen Visitenkarte attraktiver ist als die neue Schicksalsgemeinschaft Andretti und Cadillac.
Negative Reaktionen aus den USA
Die Formel 1 und die zehn Teams haben Andretti lange damit vertröstet, dass jeder zusätzliche Teilnehmer den Wert des ganzen Geschäfts vergrößern müsse um eventuelle kurzfristige Einbußen für die Clubmitglieder zu rechtfertigen. Eigentlich könne diese Bedingung nur ein sogenannter Erstausrüster (OEM), also ein Autokonzern, erfüllen. Damit haben sich die Verweigerer in doppelter Hinsicht ein Eigentor geschossen.

Jetzt hat Andretti mit Cadillac so einen "Originalgerätehersteller" an der Angel, und es ist immer noch nicht Recht. Man wirft Cadillac vor, auf einen fahrenden Zug aufzuspringen und einen Renault-Motor umzutaufen, ohne selbst eine Schraube dafür herzustellen. Das tut Alfa Romeo seit 2019 und Aston Martin seit 2021, und keiner stört sich daran. Ford plant etwas Ähnliches mit Red Bull. Der US-Konzern soll möglicherweise Knowhow bei der Batterieherstellung und der Software für den Elektroantrieb beisteuern. Das liegt mittelfristig auch im Interesse von Cadillac.
Man weiß einfach noch zu wenig über die genauen Pläne von General Motors, außer dass der zweitgrößte Autohersteller die Formel 1 dazu nutzen will, seine Elektroauto-Kampagne zu unterstützen. Die beiden Parteien wären gut beraten mehr Details über ein technisches Engagement von General Motors zu kommunizieren, um den Gegnern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Dann wäre es auch aus Sicht der Formel 1 nicht schlau, die Chance auf ein neues Team abzuwürgen, nur um an Prinzipien festzuhalten. Die Reaktionen in den digitalen Netzwerken sind ziemlich eindeutig pro Andretti. Man läuft Gefahr, in den USA als arrogante Europäer dazustehen, die lieber unter sich bleiben wollen. Das ist gerade in einer Zeit kontraproduktiv, in der die Formel 1 in der Neuen Welt zu einem Höhenflug ansetzt.
Technik zu komplex für Alleingänge
Die Skepsis gegenüber neuen Teams macht auf ein generelles Problem der Feld-Erweiterung in der Formel 1 aufmerksam. Es ist bei den technischen Notwendigkeiten und den inoffiziellen Aufnahmebedingungen fast unmöglich als zusätzliches Mitglied in den Club aufgenommen zu werden. Da steht der Königsklasse die hohe Komplexität der Technik im Weg.

Wer mit einigermaßen realistischer Erfolgsaussicht einen kompletten Antriebsstrang selbst bauen will, braucht dafür vier Jahre Vorlauf und eine bereits bestehende Infrastruktur. Das trifft im Moment nur auf Audi und Toyota zu. Wer darüber hinaus ein eigenes Auto an den Start bringen will, muss entweder wie Audi ein bestehendes Team kaufen oder den Schritt von Haas gehen und sich zu mindestens 50 Prozent bei einem anderen Chassishersteller dranhängen, was für einen Autokonzern aus Imagegründen schon mal schwierig ist.
Toyota wäre der einzige Hersteller, der eine Basis hätte, auf der man das Abenteuer im Alleingang wagen könnte. Die Japaner haben eine funktionierende hochmoderne Fabrik in Köln und sie haben seit ihrem Ausstieg aus der Formel 1 ständig Motorsport auf höchstem Niveau betrieben. Mit Auto und Motor. Für alle anderen Hersteller wären zu viele Vorleistungen notwendig, um von der grünen Wiese weg alles selbst zu machen. Der Aufbau einer Formel-1-tauglichen Fabrik und das Zusammenstellen der Mannschaft würde viel zu lange dauern und zu viel kosten.
Die zehn Teams im Club haben aus zwei Gründen kein Interesse an Zuwachs. Sie fürchten, dass die 20 Millionen Dollar, die jedes Team aus dem Eintrittsgeld eines Neueinsteigers bekommt, nach zwei Jahren aufgebraucht sind, weil es dann einen Mitesser mehr gibt. Und sie haben die Sorge, dass sie mit einem neuen Player auf dem Markt viele Mitarbeiter verlieren, die anderswo größere Aufstiegschancen und bessere Bezahlung erwarten können.
Hier wird der Kostendeckel zum Problem, weil er bei den großen Teams Gehaltsgrenzen setzt. Red Bulls Motorenfabrik RB Powertrains hat gezeigt, wozu das führen kann. Mercedes HPP musste stark bluten. Plötzlich war man in England nicht mehr allein am Markt, sondern bekam Konkurrenz. Auch Andretti könnte starke Personalbewegungen auslösen, wenn er seine Ingenieure in einer englischen Filiale arbeiten lässt.

Nur noch schmutziges Geld
Die arrivierten Teams fordern deshalb für das nächste Concorde Abkommen eine Erhöhung des Eintrittsgeldes von 200 auf 600 Millionen Dollar. Quasi als Abschreckung. Dabei bleibt es natürlich nicht. Die gleiche Summe müsste ein Neueinsteiger noch einmal investieren, um das Schiff auch ins Wasser zu lassen. Damit wäre die Türe für seriöse Interessenten für immer zu. Nur noch schmutziges Geld könnte sich solche Summen leisten.
Automobilhersteller würden vor Beträgen in dieser Größenordnung zurückschrecken. Sie wären intern nicht zu rechtfertigen, auch dann nicht, wenn die Teams dank Budgetdeckel sicheren Profit machen. Man bräuchte mindestens zehn Jahre, um das Geld wieder einzuspielen. Immer mit dem Risiko, dass sich der Wind dreht.
Motorsport ist nicht American Football. Der Erfolg des Sports ist viel mehr von nicht steuerbaren Faktoren abhängig als die bekannten Profiligen, die in den USA nach einem ähnlichen Franchise-System strukturiert sind. Ein schwerer Unfall, eine falsche politische Weichenstellung, und schon kann das F1-Kartenhaus in sich zusammenfallen.