Von allen Rookies hat Andrea Kimi Antonelli den undankbarsten Job. Er übernahm das Cockpit von Rekordsieger Lewis Hamilton, er fährt für ein Topteam, und seine Vorgeschichte weckt hohe Erwartungen. Der 18-jährige Italiener bekam schnell das Etikett eines Wunderkindes umgehängt. Dabei hat er weder in der Formel 3, die er übersprang, noch in der Formel 2 einen Meistertitel gewonnen.
Mit George Russell hat er einen Teamkollegen, der zu den Top 5 der Formel 1 zählt. Der Engländer kann keine Geschenke machen, denn beide Fahrer müssen mit der Möglichkeit rechnen, dass plötzlich Max Verstappen vor der Tür steht. Da schaut jeder auf sich selbst. Im Qualifying-Duell steht es 8:1 für Russell. Das macht die Situation für einen Neuling nicht einfacher.
Antonellis Einstieg in die Königsklasse schien alle Lobeshymnen zu bestätigen. Nach sechs Rennen war der jüngste Fahrer aller Zeiten, der je einen Grand Prix angeführt hat (Suzuka), der je eine schnellste Rennrunde drehte (Suzuka) und der je auf der Pole-Position stand (Miami). Dass es nur der beste Startplatz für den Sprint war, konnte die Vorschusslorbeeren nicht schmälern. Tags darauf stellte Antonelli seinen Mercedes auf den dritten Startplatz für das Hauptrennen.

Der Motorschaden in Barcelona warf Andrea Kimi Antonelli aus dem Rennen.
Motorschaden ist eine doppelte Strafe
Nach sechs Rennen waren schon 48 Punkte auf dem Konto des jungen Mannes, der in der Woche nach dem GP Kanada die letzten Abiturprüfungen schreibt. Doch seit die Formel 1 nach Europa umgezogen war, geriet Sand ins Getriebe des Rookies. In Imola und Barcelona bestrafte ihn die Technik. In Monte-Carlo brachte er sich selbst um alle Chancen. Er crashte im Q2. Vom 15. Startplatz fährt man bei dem Stadtrennen normalerweise nicht mehr in die Punkteränge.
Der Motorschaden beim GP Spanien war eine doppelte Strafe, denn dieser Mercedes V6-Turbo wird keinen Laut mehr von sich geben. Er fliegt aus dem Pool, was fast gleichbedeutend damit ist, dass der Fahrer irgendwann einmal in dieser Saison eine Startplatzstrafe nehmen muss. Technikdirektor James Allison bedauert: "Wir haben erst ein gutes Drittel der Saison hinter uns. Einen Motor vor Ablauf seiner normalen Lebensdauer zu verlieren, verschärft die Anforderungen an die verbleibenden Triebwerke im Sortiment gewaltig."

Für Antonelli ist es wichtig, ab dem ersten Training des Wochenendes schnell zu sein.
Vom ersten Training an in Bestform
Antonelli war aber auch mit seiner eigenen Leistung nicht zufrieden. "Ich muss mich wieder stabilisieren und eine bessere Leistung zeigen. Ferrari hat aufgeholt. George fährt eine ganz starke Saison, aber er kann nicht alles allein machen. Ich muss in der Lage sein, dem Team zu helfen, um wieder auf Platz zwei zu kommen."
Der Mercedes-Junior hat in den letzten drei Rennen die Kehrseite der Formel 1 erfahren: "Ich habe gelernt, wie man mit einem Wochenende umgehen muss, bei dem es nicht rund läuft. Mein Heimrennen in Imola hat mir gezeigt, dass ich meine Energien besser einteilen und Prioritäten setzen muss. Es gab zu viel Ablenkung."
Allison findet ebenfalls kritische Worte: "Kimi wird mit seinem jugendlichen Optimismus über die Enttäuschungen der letzten Rennen hinwegkommen. Die zwei Ausfälle waren eine ziemlich bittere Pille für ihn. Wenn man das einmal beiseite lässt und Kimi selbst in die Sache hinein sieht, dann weiß er aber auch, dass er noch mehr tun muss."
Eine dieser Lektionen ist, dass man als Fahrer vom ersten Training an hellwach sein muss. "Du musst von Anfang an deine Bestform abliefern. Wenn du mit einem Rückstand ins Wochenende einsteigst, holst du das nur schwer wieder auf", meint der WM-Siebte selbstkritisch.

Den C6-Reifen konnte Antonelli noch nicht ideal nutzen.
Das Problem mit dem C6-Reifen
Montreal ist nicht der ideale Platz, um eine kleine Krise zu überwinden. Die Strecke auf der Ile de Notre Dame hat ihre Besonderheiten. Wer schnell sein will, muss die Ideallinie über die Randsteine kennen. Wer es übertreibt, landet schnell in der Mauer. "Wichtig ist jetzt für mich, dass ich meinen Rhythmus wiederfinde und Konstanz zeige", treibt sich Antonelli an.
In Montreal wird der Mann aus Bologna den C6-Reifen wiedertreffen. Pirellis neuer Superkleber war mit schuld daran, dass der Rookie zuletzt etwas aus der Spur geraten war. "Ich habe mich schwergetan, den C6-Reifen konstant zu nutzen. Der Reifen funktioniert in einem winzigen Fenster, das nicht leicht zu treffen ist. In Imola hat er im dritten Training funktioniert, und dann war ich kurz darauf in der Qualifikation fünf bis sechs Zehntel langsamer. Das hat mir Vertrauen geraubt."
In der Vorbereitung auf Montreal drehte Antonelli nicht nur unzählige Montreal-Runden im Simulator. "Ich habe viel mit den Ingenieuren diskutiert, um herauszufinden, wo und unter welchen Umständen ich mit dem Reifen schnell war und was ich anders gemacht habe, wenn er nicht so funktioniert hat."
Früher schützte ein Platz in einem Topteam die Rookies vor dem Mittelfeld. Inzwischen sind die Abstände so klein, dass sich das eine schnell mit dem anderen vermischt. "Wenn du bei der Leistungsdichte nur einen Fuß falsch setzt, stehst du gleich hinten", fiel Antonelli auf. Dazu die generelle Erkenntnis: "Die Formel 1 ist mental ein schwieriges Umfeld. Es ist ein Haifischbecken. Wenn du keine Leistung ablieferst, fressen dich die Haie auf."