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Alles neu beim Alfa Romeo F1-Team
„Wer ein Jahr verschläft, ist weg vom Fenster“

Neue Fahrer, eigene Technik und gestiegene Ambitionen – mithilfe des Regelumbruchs will das Alfa Romeo Formel-1-Team den lang ersehnten Sprung nach oben in den Ergebnislisten schaffen. Teamchef Frédéric Vasseur und seine Neuverpflichtungen Valtteri Bottas und Guanyu Zhou geben Einblicke in die Operation Trendwende.

Alfa Romeo F1 Fahrer Valtteri Bottas Guanyu Zhou
Foto: Alfa Romeo

Die vergangene Saison war die schlechteste seit dem Beginn der Alfa-Kooperation im Jahr 2018. Mit 13 Punkten belegte der Traditionsrennstall aus der Schweiz einen enttäuschenden neunten Gesamtrang. Nur das zweite Ferrari-Kundenteam Haas war mit null Zählern noch mieser unterwegs. Für Frédéric Vasseur, der 2017 das Amt des Teamchefs übernommen hat, ist das letztjährige Abschneiden zwar ärgerlich, aber zu einem gewissen Teil auch die Folge eines größeren Plans.

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Er erklärt: "Schon im Dezember 2020 fiel die Entscheidung, dass wir das Auto für die Saison 2021 nicht weiterentwickeln werden." Das Aufteilen der Ressourcen zwischen dem Entwicklungsteam und dem tagesaktuellen Geschäft fiel Alfa so leichter als diversen Konkurrenten, die noch im Kampf um wichtige WM-Punkte verstrickt waren. Das Ziel dieser Strategie ist klar: Mit dem neuen Alfa Romeo C42, der in der vergangenen Woche seinen Shakedown auf der Ferrari-Hausstrecke in Fiorano absolvierte, soll sich das Team endlich zurück ins Mittelfeld katapultieren. "Spätestens im Q1 in Bahrain wissen wir, ob sich die harte Arbeit gelohnt hat", wiegelt der Franzose allerdings die Frage nach einer ersten Prognose ab.

Alfa Romeo C42 - Shakedown - Fiorano - 2022
Alfa Romeo
Mit dem C42 will Alfa regelmäßig in die Punkte fahren.

Obwohl der frühe Entwicklungsbeginn zweifelsohne ein Vorteil gewesen ist, gibt es für Vasseur nämlich keinen Anlass für eine voreilige Selbstsicherheit. Denn überall im Fahrerlager gehe laut ihm aktuell die Furcht davor um, dass man innerhalb des komplexen Regelwerks die eine entscheidende Lücke übersehen haben könnte. Das beste Beispiel sei der Fall von Brawn GP im Jahr 2009 gewesen, als die Teams sehr lange über die Legalität des Doppel-Diffusors stritten, dieser aber final durchgewinkt wurde.

Großer Umbau in Hinwil

Für Vasseurs Mannschaft waren die letzten Saisons auch abseits des Rennbetriebs sehr ereignisreich. Neben dem stetig gewachsenen Einfluss von Alfa Romeo wurde intern vieles neu strukturiert und ausgebaut. Über die letzten zwei bis drei Jahre wurden laut dem 53-Jährigen rund 250 Mitarbeiter eingestellt und neue interne Produktionskapazitäten geschaffen, die das Team unabhängiger machen sollen. "Diese Änderungen sind aber nicht exklusiv bei uns zu sehen. Die Formel 1 hat sich in den letzten fünf Jahren massiv verändert. In der jüngeren Vergangenheit drohte diversen Teams noch der Bankrott, nun haben wir eines der engsten Felder aller Zeiten", gibt der Teamboss zu bedenken. "Wer ein Jahr verschläft, ist weg vom Fenster."

Ein perfektes Beispiel für die neue Schweizer Eigeninitiative ist die nun selbstständige Fertigung des Getriebe-Gehäuses. Durch den Eigenbau konnten die Alfa-Designer vom Konzept des Zulieferers Ferrari abweichen und mehr Freiheiten bei der Konstruktion des Fahrzeughecks nutzen. Was vielleicht nach einer zügig umsetzbaren Anpassung klingt, brauchte im Falle von Alfa eine zweijährige Vorbereitungszeit. Angesichts des neuen Cost-Caps werden solche, über mehrere Jahre ausgelegte Planungen zukünftig zum Standard werden. "Wir müssen Änderungen Schritt für Schritt angehen. Noch sind wir unterhalb der Grenze, aber wir wollen sie zügig erreichen", beschreibt Vasseur die neue finanzielle Realität von vielen kleinen Teams. Bei der Entwicklung des neuen Alfa war dementsprechend noch das eigene verfügbare Budget die Limitierung gewesen.

Frederic Vasseur - Alfa Romeo - GP Brasilien 2021
Alfa Romeo
Der französische Alfa-Teamboss Frédéric Vasseur baute die Truppe aus Hinwil in den letzten Jahren massiv um.

Bei den Top-Teams hat die neue Kostenregulierung wenig überraschend eine andere Stoßrichtung, die sich am besten anhand der zukünftigen Fahrzeugentwicklung erklären lässt. Während Mercedes, Red Bull und Co. früher noch Fehler aus der Konzeptphase mit teuren und zeitaufwendigen Update-Plänen ausbügeln konnten, müssten sie nun wahrscheinlich mit größeren Schnitzern leben. Alle Teams eint hingegen die philosophische Frage, wie man die Weiterentwicklung der eigenen Autos finanziell angehen wird. So könne laut Vasseur eine schnelle Update-Schlacht zu Beginn der Saison im weiteren Verlauf zu einer Stagnation oder gar zu einem Abrutschen in der Wertung führen. Die Folgen falscher Entscheidungen würden sich potentiell durch gleich mehrere Saisons hindurchziehen.

Kooperation statt Konkurrenz

Beim komplett erneuerten Fahrerkader verfolgte der für seine Nachwuchsförderung bekannte Franzose einen klaren Plan: "Das Wichtigste war, dass wir einen sehr erfahrenen Formel-1-Fahrer in unseren Reihen haben. Diese Rolle erfüllt Valtteri mit seinen sechs Jahren in einem absoluten Top-Team perfekt. Zudem bringt er eine Offenheit mit, von der Guanyu Zhou profitieren soll." Der Finne könne also durchaus als Teamleader bezeichnet werden. Bottas selbst gibt sich hinsichtlich seines Status gewohnt diplomatisch: "Ich bin natürlich der erfahrenere Pilot, aber meines Erachtens haben Fahrer immer dieselben Grundvoraussetzungen im Team. Guanyu wird in diesem Jahr sicher vieles lernen müssen und ich unterstütze ihn dabei, so gut ich kann. Wir sind als Team nur dann erfolgreich, wenn wir zusammenarbeiten."

Dass der zweifache Vizemeister nun aber ein Vielfaches an Verantwortung übernimmt, ist nicht abzustreiten. So hatte der 32-Jährige unter anderem die Ehre, den Rollout des C42 zu übernehmen. Danach berichtete er: "Der Unterschied war glücklicherweise gar nicht so gewaltig, wie man meinen könnte. Natürlich waren da die typischen Wehwehchen, die man von Shakedowns kennt, aber insgesamt gab das Auto einen guten Eindruck ab." Dank der intensiven Vorbereitung im Simulator konnte er seinen Fahrstil bereits auf die neuen Anforderungen der etwas schwereren Auto-Generation abstimmen. Wie nahe das virtuelle Abbild an der Realität dran gewesen ist, lässt sich aber wohl erst nach den Testtagen in Barcelona überprüfen.

Alfa Romeo F1 Fahrer Valtteri Bottas Guanyu Zhou
Alfa Romeo
Zwischen dem Formel-2-Absolventen Guanyu Zhou und dem zweifachen Vizemeister Valtteri Bottas liegen zehn Jahre.

Am anderen Ende der Erfahrungsskala steht sein zehn Jahre jüngerer Kollege Guanyu Zhou, der nach drei Jahren in der Formel 2 in die Königsklasse aufsteigt. Der Dritte der letzten Saison hat dabei gleich doppelten Druck: Zusätzlich zur sportlichen Ebene gilt er als der bislang aussichtsreichste chinesische Rennfahrer – ein Fakt, der sicher auch bei der Finanzierung des Cockpits geholfen hat. Zhou selbst sieht diesen Rucksack eher als eine Chance: "Als erster chinesischer Formel-1-Fahrer will ich natürlich den Motorsport in meinem Heimatland weiter vorantreiben. Im Vergleich zu Europa hängen wir beim Niveau zwar einige Jahre hinterher, aber der Sport gewinnt immer mehr an Bedeutung."

Gleichzeitig betont Zhou, dass er nicht aus Spaß an der Freude in der Formel 1 fährt. "Ich will mich mit jedem Mal verbessern und zusammen mit Valtteri das Team nach vorne bringen. Wir wollen die Kollegen in der Fabrik für ihre harte Arbeit der letzten Jahre belohnen. Ich sehe wirklich jeden Tag große Fortschritte im Team." Spätestens beim Saisonauftakt in Bahrain gilt es dann, die vielen guten Hoffnungen und Wünsche endlich in passende Ergebnisse umzumünzen.

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