Fünf Stunden nach der Zielflagge zum GP Monaco erlebte ein anderer Motorsport-Klassiker eine Premiere. Àlex Palou gewann als erster Spanier die 500 Meilen von Indianapolis. Viele Formel-1-Piloten schauten sich das Indy 500 am Abend nach dem Grand Prix am Fernseher an. Charles Leclerc gestand: "Ich glaube nicht, dass ich dieses Rennen jemals fahren werde. Da ist noch einmal ein anderes Niveau an Verrücktheit gefragt als in der Formel 1."
Der Sieg beim Indy 500 ist der ultimative Ritterschlag in der US-Rennszene. Spätestens dann machen auch die IndyCar-Stars im Rest der Motorsport-Welt auf sich aufmerksam. Àlex Palou hatte das eigentlich gar nicht mehr nötig. Wer in fünf Jahren drei Mal Meister wird und von den ersten sieben Saisonrennen fünf gewinnt, muss ein guter Rennfahrer sein.
Carlos Sainz lobte seinen Landsmann: "Alex verdient einen Formel-1-Test. Jemand, der das Indy 500 gewinnen kann, sollte zumindest irgendwann die Chance bekommen, in der Formel 1 zu zeigen, was er kann. Und wenn er schnell genug ist, sollte er bei uns willkommen sein." Das Problem dabei: Keiner in der Formel 1 interessiert sich für den 28-jährigen Spanier. Keiner hat ihm ein Angebot gemacht, seit sein Stern in der IndyCar-Serie aufgegangen ist.

Mit dem Sieg beim Indy 500 wurde Palou endgültig zu einem der ganz großen IndyCar-Piloten.
Hat Corona Palou ausgebremst?
Die US-Rennserie ist zwar weit von Europa entfernt, und es gibt wenig Schnittmengen, doch eines geben fast alle Teamchefs zu: Die Konkurrenz bei den IndyCars ist größer als in den europäischen Nachwuchsserien. Hier fahren auf bekannten Rennstrecken Rookies gegen Rookies. In der IndyCar-Szene muss man sich auch gegen Routiniers mit mehr als zehn Jahren Erfahrung durchsetzen, und das auf viel unterschiedlicheren Schauplätzen. Es gibt permanente Strecken, Stadtkurse, Mini-Ovale und Superspeedways.
Auf die Frage, ob die Formel-1-Teamchefs Scheuklappen tragen und lieber mittelmäßige Formel-2-Piloten in ihren Fahrerkader aufnehmen, bekommt man mehr oder weniger plausible Antworten. Red-Bull-Sportchef Helmut Marko hatte Palou einst auf dem Radar, als er 2018 in der Formel 3 mit sieben Podestplätzen, aber ohne Sieg auf dem siebten Platz der Gesamtwertung landete. Der Spanier hatte damals das Pech, dass sein Hitech-GP-Rennwagen nicht zu den Top-Autos zählte.
Ein Vertrag scheiterte laut Marko am Management des Fahrers. "Die waren nicht die cleversten, was sich später auch gezeigt hat, als er mehrere Verträge auf einmal unterschrieben hatte." Gemeint sind die Vertragsstreitigkeiten zwischen Ganassi und McLaren, die sich über Jahre hinzogen und schließlich vor Gericht landeten. Ganassi bekam Recht.
Ferrari-Teamchef Frédéric Vasseur erinnert sich: "Palou war in der Formel 3 im falschen Team. Da konnte er nicht glänzen. Er ist wahrscheinlich ein Beispiel dafür, dass man anhand der Ergebnisse in einer Nachwuchsformel nicht unbedingt darauf schließen kann, wie er sich später in richtig schnellen Autos entwickelt." Laut Vasseur kam für Palou noch ein zweites Pech dazu: "Er wechselte in die IndyCar-Serie. Dann kam Covid, und er wurde hier bei uns vergessen."

Als McLaren-Junior schnupperte Palou kurz Formel-1-Luft. Dann zwangen ihn Vertragsstreitigkeiten zurück in die IndyCar.
Will eine IndyCar-Legende ein Jahr testen?
Doch auch nach 16 IndyCar-Siegen scheuen sich die Teamchefs davor, dem aktuellen Indy-500-Sieger eine Testmöglichkeit einzuräumen. Williams-Teamchef James Vowles erzählt, warum: "Palou ist superschnell. Wir hatten ihn auf unserer Liste. Doch es gibt zwei Probleme. Mit seinen Erfolgen in der Vita wäre er kein billiger Einsteiger. Ich schätze, er spielt in der Preisklasse jenseits der fünf Millionen Dollar. Und mit einem Test oder einem Freitagstraining wäre ihm nicht geholfen."
Vowles verweist darauf, dass die Teams neue Fahrer heute nicht mehr ohne genügend Rennstrecken-Erfahrung in Formel-1-Autos ins Cockpit lassen. Egal, wie viele Rennen sie vorher gefahren sind. "Palou müsste das gleiche Programm durchlaufen wie ein Antonelli oder Bearman. Die haben bis zu 10.000 Kilometer in alten Formel-1-Autos abgespult. Das heißt, er müsste ein Jahr aussetzen und komplett der Vorbereitung opfern. Ich kann mir schwer vorstellen, dass er das bei seinem Status noch will."
Das sieht auch Fernando Alonso so: "Es ist großartig für Alex, dass er jetzt endlich das Indy 500 gewonnen hat, nachdem er die Serie seit mehreren Saisons dominiert und schon wieder die Meisterschaft mit großem Vorsprung anführt. Ich weiß, dass die meisten Fahrer von einem Formel-1-Sitz und einer Karriere hier träumen. Aber Palou ist eine IndyCar-Legende und wird es auch immer bleiben. Deshalb wird er die Formel 1 nicht vermissen."