Am 3. März hat Adrian Newey die Arbeit in der Aston-Martin-Fabrik in Silverstone aufgenommen. Aus dem Team ist zu hören, dass sich der Chefentwickler seitdem praktisch in seinem Büro eingeschlossen hat. Newey kommt als Erster und Newey geht als Letzter. Hatte sich der 66-Jährige bei Red Bull in den letzten Jahren immer mal wieder kleinere Auszeiten gegönnt, wurde jetzt offenbar noch einmal ein Feuer entfacht.
Die Arbeitsbedingungen im neuen Job könnten für den obersten Ingenieur auch besser nicht sein. Teambesitzer Lawrence Stroll hat den Laden in den letzten Jahren grundlegend modernisiert. Die Techniker können auf die neuesten Entwicklungstools zurückgreifen. Als letzter Puzzlestein ging auch noch der neue Windkanal zwei Wochen nach Neweys Ankunft ans Netz. Dazu wurde auch beim Personal nochmal kräftig aufgestockt.
Jetzt muss die zusammengewürfelte Truppe nur noch an einem Strang ziehen – was aber gar nicht so einfach ist. "In der Formel 1 gibt es viel Technologie, aber am Ende sind es die Menschen, die für den Fortschritt sorgen", erklärt Newey in einem vom Team bereitgestellten Interview. Nach Ansicht des Designers müsse sich jetzt erst einmal die Mentalität ändern, bevor die geforderten Siege und WM-Titel eingefahren werden können.

Adrian Newey mit Aston-Martin-Teamchef Andy Cowell. Wie gut kehren die neuen Besen?
Nur kurze Gespräche über 2025er-Auto
"Das Team hatte in den letzten Jahren nicht viel Erfolg. Das Verlieren wurde zum Normalzustand. Es ist wichtig wieder daran zu glauben, dass wir gemeinsam die Fähigkeiten haben, Erfolge zu feiern. Ich bin kein Cheerleader und auch kein Fußball-Trainer, der sich in den Raum stellt und emotionale Reden hält. Es geht darum, dass alle gemeinsam arbeiten und zusammen entwickeln."
Von dem angepeilten Aufschwung war zuletzt noch nicht viel zu sehen. Aston Martin rutschte diese Saison bis ans Ende des Feldes zurück. Da ist die Versuchung natürlich groß, Newey noch einmal einen Blick auf den aktuellen AMR25 werfen zu lassen. Doch der Ingenieur konzentriert sich schon ganz auf die kommende Saison.
"Lawrence will verständlicherweise, dass wir 2025 gut abschneiden. Es gibt ein kleines Aerodynamiker-Team, das noch am aktuellen Auto arbeitet. Ich hatte beim Mittagessen ein paar Gespräche mit dieser kleinen Gruppe. Da haben wir kurz über das Auto diskutiert und darüber geredet, was wir noch machen können", verrät Newey.

Der neue Windkanal ging zwei Wochen nach der Ankunft von Adrian Newey ans Netz.
Zeitnot bestimmt das Handeln
Den Rest der Zeit sitzt der Konstrukteur aber an seinem Reißbrett und sucht nach Ideen für das 2026er-Auto. Die Kollegen müssen die technischen Zeichnungen dann in dreidimensionale CAD-Modelle im Computer umwandeln. Als einer der letzten großen Ingenieure ist Newey nicht nur für einen kleinen Bereich am Auto zuständig. Er hat stets das komplette Bild im Kopf – vom Front- bis zum Heckflügel, von den Aufhängungen bis zur Kühlung.
Die prominente Neuverpflichtung gibt die Richtung vor. Normalerweise dürfen seine Kollegen auch eigene Ideen verfolgen. Doch weil die Zeit und das Budget knapp sind, muss Newey seine Mitarbeiter auch manchmal ausbremsen: "Ich mag es eigentlich nicht, einem meiner Ingenieurs-Kollegen vorzuschreiben, dass er eine Entwicklungsrichtung nicht weiterverfolgen soll. Aber aus Zeitmangel muss ich das in diesem Fall leider tun."
Alle Teams durften mit der Aerodynamik-Entwicklung für die neuen Autos erst zum Jahreswechsel beginnen. Wegen der Wechsel-Sperrfrist nach der Auflösung des Red-Bull-Vertrags bis Anfang März lief, muss Newey jetzt zwei verlorene Monate wieder aufholen. Ausreden für einen möglichen Misserfolg im kommenden Jahr gibt es aber keine. Die Regelrevolution lässt alle Teams wieder bei null anfangen.

Newey hat schon einige Regel-Reformen mitgemacht. Der Ingenieur ist zuversichtlich, dass sich die Autos wieder stärker unterscheiden.
Chancen für Variation stehen gut
Newey hat sich mit den 2026er-Technik-Gesetzen bereits angefreundet: "Meine Gedanken zum 2026er-Reglement sind ähnlich wie bei der großen Regel-Reform von 2022: Zuerst habe ich gedacht, dass das Reglement so restriktiv ist, dass für uns nichts mehr übrigbleibt. Aber wenn man ins Detail geht, realisiert man erst, dass doch mehr Flexibilität für Innovationen und unterschiedliche Ansätze drinsteckt, als auf den ersten Blick gedacht."
Newey erwartet eine ähnliche Entwicklung wie vor vier Jahren: "Mittlerweile sind sich die Designs der Autos alle ähnlich geworden. Aber das war am Anfang nicht der Fall. Unterschiede zwischen den Teams finde ich immer toll. Es ist ja langweilig, wenn alle Autos gleich aussehen und man sie nur durch die Lackierung unterscheiden kann. Ich denke, die Chancen stehen gut, dass wir 2026 etwas Ähnliches sehen wie 2022. Es gibt genug Flexibilität im Reglement. Ich bin sicher, dass alle auf unterschiedliche Lösungen kommen."
Die Aufgabe für die Ingenieure ist riesig, aber gerade deshalb auch so reizvoll: "Zum ersten Mal, seit ich denken kann, ändern sich die Regeln für den Motor und das restliche Auto gleichzeitig. Das ist interessant und gleichzeitig auch etwas angsteinflößend. Auf beiden Seiten öffnen sich neue Möglichkeiten. Ich erwarte eine große Bandbreite an Aerodynamik-Ideen. Und auch bei der Performance der Power Units könnte es Unterschiede geben, was wir ja schon 2014 bei der Einführung der Hybrid-Motoren gesehen haben."

Im neuen Büro von Adrian Newey geht das Licht nie aus. Der 66-Jährige arbeitet wie besessen am Auto für 2026.
Welcher Weg bringt den meisten Ertrag?
Für Newey und sein Team geht es zum aktuellen Zeitpunkt vor allem darum herauszufinden, welche Entwicklungsrichtungen das meiste Potenzial versprechen und auf welche Bereiche die meisten Ressourcen verwendet werden. Die Windkanalzeit und die CFD-Runs sind bekanntlich begrenzt. Und auch beim finanziellen Budget dürfen die Teams die vorgeschriebenen Grenzen nicht überschreiten.
"Wir fahren bei der Entwicklung aktuell noch mehrgleisig. Ob sich diese Entwicklungsrichtungen von den anderen Teams unterscheiden, oder ob sie vielleicht sogar besser sind, kann man nicht wissen. Das ist ein Teil der Faszination der Formel 1, vor allem bei größeren Reglement-Änderungen. Wenn so etwas passiert, ist es immer schwierig, weil die Ressourcen begrenzt sind, sowohl beim Geld als auch beim Personal."
Laut Newey ist das Team noch nicht optimal aufgestellt: "Wir müssen vor allem in der Aerodynamik-Abteilung noch wachsen. Kurzfristig bleibt nur, dass wir uns für die Richtungen entscheiden, die den größten Ertrag versprechen, und dass wir unsere Ressourcen entsprechend verwenden. Natürlich besteht immer die Gefahr, dass wir etwas übersehen. Oft muss man einen Weg erst einmal eine Weile gehen, bis man erkennt, ob er sich lohnt oder nicht. Und manchmal sieht eine Abzweigung gar nicht so vielversprechend aus, weil es ein neuer Weg ist, der noch unerforscht ist. Aber genau der könnte am Ende mehr Ertrag bringen."