Dieses Geräusch, herrlich. Ein lautes, hartes, besonderes Knistern und Knirschen, das jedem Rallye-Fan einen Schauer über den Rücken jagt und von einer Karriere als Eisspion bei der Rallye Monte Carlo träumen lässt. Ein Geräusch, dass so nur echte Spike-Reifen auf Eis produzieren. Spikes von fünf Millimeter Länge (ja, geht natürlich noch länger, doch wir geben uns gerne mit dem zufrieden, was gerade da ist), 490 Stück pro 20 Zoll-Reifen.
Der Recaro-Schalensitz erinnert dich mit seinen harten, enganliegenden Seitenwangen gerade daran, dass du längst fünf Kilogramm hattest abnehmen wollen. Oder acht. Oder… ach, lassen wir das. Geht schon. Du gibst Strom, der mächtige SUV startet durch. Für die Show haben sie dem Polestar 3 noch eine Dachträger draufgeschnallt, inklusive Ersatzrad, Transportkisten, Gedöns. Macht rund 100 Kilogramm zusätzlich, an der denkbar ungünstigsten Stelle eines Fahrzeugs. Auf dem Dach eben.
Eine Frage der Neigung
Bereits beim Anbremsen der ersten Linkskurve neigt sich der Arctic Circle mit einer gewissen Eleganz nach vorn, wirkt weicher in seinen Beinen, als das Serienmodell. Was daran liegt, dass… richtig: das Fahrwerks des Einzelstücks tatsächlich über eine niedrigere Federrate verfügt. Eben wie bei einem Rallye-Fahrzeug, dass so die dynamische Radlastverteilung besser nutzen kann, um im Ernstfall das Heck zur Unterstützung hinsichtlich des möglichst schnellen Durchbolzens von Kurven bemühen kann. Zugleich gilt es jedoch, die Karosseriebewegungen speziell beim Überbolzen heftiger Bodenwellen in engen Grenzen zu halten. Daher sortiert Polestar die Luftfeder des Serienmodells aus, montiert Stahlfedern, dazu in Druck- (zwei Wege) und Zugstufe (einweg) getrennt einstellbare Dämpfer (mit externen Gasdruckbehälter) der schwedischen Spezialisten von Öhlins. Dabei erhöht sich zugleich die Bodenfreiheit um 40 Millimeter.
Und der Antrieb? Entspricht der Serie, also zwei permanenterregte Synchronmotoren mit einer Leistung von maximal 380 kW sowie einem Systemdrehmoment von 910 Nm. Die Architektur teilt sich der Polestar 3 übrigens mit dem Volvo EX90, läuft mit ihm zusammen in den USA vom Band. Hier auf dem Wintertestgelände der Marke rund 100 km südlich des Polarkreises fährt der Polestar 3 Arctic Circle vorwiegend außer Rand und Band. Wobei absurde Driftwinkel hierbei nicht im Vordergrund stehen, sondern möglichst präzises Abarbeiten der Ideallinie, was aufgrund der Reifen verblüffend leicht geht – wenn du als Eis- und Spike-Laie erst einmal auf die Reihe bekommst, wie hoch das Grip-Niveau liegt.
Ganz weit oben
Und meine Güte, liegt das hoch. Zumal das ebenfalls für die Masse der SUV-Fuhre gilt, nicht unter 2,7 Tonnen. Dennoch bremst du den Polestar punktgenau zusammen, bei gleichzeitig anliegendem, leichten Lenkwinkel spürst du, wie das Heck entlastet, bereit, sich einzudrehen. Gewähren lassen, sofort progressiv ans Gas, je nach Radius geht’s dann im dezenten Allrad-Drift weiter. Dabei registrierst du durchaus, dass sich der Polestar sacht zu Seite neigt, dennoch die Kommunikation zu den Vorderrädern nicht abreißt. Die Lenkung arbeitet mit ordentlicher Rückmeldung und geringen Haltekräften, lässt sich in zwei weiteren Kennlinien zuspitzen. Zusätzliche Verstrebungen im Bereich der vorderen Federbeindome sollen zusätzlich die Einlenkpräzision, die von der Basis übernommene Torque-Vectoring-Funktion an den Hinterrädern die Agilität erhöhen. Tatsächlich wirkt der extreme SUV in seiner optischen Dramatik beim Fahren harmonisch, wenngleich auf einem hohen Dynamik-Niveau. Bald beginnst du, mit ihm zu spielen, versucht, die Karosseriebewegungen gezielter zu nutzen, bremst hier ein wenig später, gehst dort ein wenig früher aufs Gas, lenkst hier und da mal mehr mit Lastwechsel, denn mit der Lenkung selbst.
Das Knistern und Knacken der Spikes wich längst einem dominanten Rauschen, in etwa vergleichbar mit dem harten Geräusch eines Bandschleifers mit ganz grobem Schleifpapier auf frischer Buche. Die Absurdität des Arctic Circle-Projekts lässt dich grinsen, der Reiz, von vermeintlich unsinnig zugespitzten Großserienfahrzeugen bleibt spätestens seit Opels Schwarzer Witwe (ja, suchen Sie den Apparat mal im Netz!) hoch, ebbt hoffentlich auch in Zeiten der Elektromobilität nicht ab.
Polestar selbst lässt da nicht locker, brachten die Schweden bereits vor zwei Jahren den 2 als Arctic Circle, jetzt folgen Nummer 3 und 4, wobei letzterer sogar eine Fly-Off-Handbremse mitbekam – das ultimative Rallye-Accessoire, mit dem sich das Heck in Spitzkehren mühelos herumwerfen lässt. Wozu das Ganze? Nur zum Spaß? Vorwiegend. Und um Neues auszuprobieren. Chance auf eine Serienproduktion? Auf gar keinen Fall. Lässt sich angeblich nicht kostendeckend realisieren. Und womöglich ist die Welt der E-Mobilität auch noch nicht bereit für so etwas.

Nach dem schon vor zwei Jahren präsentierten Polestar 2 Arctic Circle liefert die Marke die entsprechenden Varianten auf Basis von Polestar 3 und 4 nach.
Noch eine Runde
Na dann: Noch eine Runde! Wieder ans Gas, das voluminöse Rauschen schwillt an, schnelle, lange Wechselkurven nahen, das nicht vollständig deaktivierbare ESP funkt nicht weiter dazwischen, so fest rammen sich die Spikes ins Eis. Zudem zeigt sich die Elektronik einer leichten Instabilität gegenüber durchaus aufgeschlossen. Nur das Rollen und Neigen der Karosserie überrascht dann doch immer wieder, du erwartest das einfach nicht, obwohl die Bewegung inzwischen zu nutzen weißt.
Die anderen beiden Arctic Circle-Showcars verfügen ebenfalls über weichere Federn, sogar nochmals weichere als der Dreier – weil ihnen die wuchtige Dachgalerie abgeht. Und gerade die macht’s am Ende aus, steigert die Absurdität noch einmal, obwohl der Polestar zugleich mit seiner immensen Agilität begeistert, das Potenzial der Basis zeigt. Der Arctic Circle rollt aus, das laute Knirschen verebbt. Es dürfte die einzige Begegnung mit dem Einzelstück gewesen sein. Schade. Doch wer weiß, was sich die Schweden noch so einfallen lassen.