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Mercedes AVUS SSKL Stromlinienwagen
Unterwegs in der Silberpfeil-Gurke

Weil das Original verschollen ist, hat Mercedes seinen ersten Stromlinien-Renner neu gebaut. Eine Mitfahrt im AVUS SSKL von 1932.

Mercedes SSKL AVUS Stromlinienwagen
Foto: Daimler

Ein monströser Metallbolzen, bei dem eine riesige viereckige Öffnung in der Front klafft: Der erste Mercedes Silberpfeil sieht brutal aus. Das Berliner Publikum war beim AVUS-Rennen 1932 vom Aussehen trotzdem wenig beeindruckt und nannte den Renner einfach Gurke. Dabei sollte er sich als erstes stromlinienförmiges Renn-Fahrzeug der Welt ganz sanft durch den Wind schummeln und zudem die Generation der legendären Silberpfeile begründen. Es handelt sich um den Mercedes AVUS SSKL Stromline. Keiner weiß, ob es das originale Einzelstück noch gibt – es ist auf jeden Fall seit langem verschollen. Mercedes hat sich inzwischen mit gehörigem Aufwand ein neues gebaut – was vielen Blechteilen deutlich anzusehen ist. Der fahrtüchtige Nachbau des Mercedes AVUS SSKL steht jetzt an einem frühen grauen Morgen auf dem noch wenig befahrenen 17-Mile-Drive in Kalifornien und wartet auf einen Beifahrer.

Unsere Highlights
Mercedes SSKL AVUS Stromlinienwagen
Daimler
Für den Fahrer gibt es einen kleinen Windabweiser und eine Kopfstütze.

Eine kleine blaue Plastikfußbank steht im Sand am Straßenrand und dient als erste Stufe, der Hinterreifen als zweite – schon ist man im SSKL. Beim Blick nach rechts fällt ein dickes in Mullverband gewickeltes Bein auf: Das knapp unter der Schulterlinie nach hinten verlaufende Endrohr hat Ofenrohr-Dimensionen, der Verband soll ein wenig Hitze abhalten. Trotzdem ist Anfassen nicht ratsam.

Mercedes SSKL AVUS Stromlinienwagen
Daimler
Die schicken Instrumente sind originale SSK-Ersatzteile.

90 Jahre alte Original-Ersatzteile

Der Beifahrer sitzt ein wenig weiter vorn als der Fahrer – nur deshalb können in dem engen SSKL zwei Erwachsene nebeneinander sitzen. Trotzdem zieht mal als Beifahrer automatisch die Schultern ein – man möchte einfach den Fahrer nicht behindern. Der greift in ein riesiges mit Hanf umwickeltes Holzlenkrad und kämpft mit den vier Pedalen im Fußboden. Die schicken Armaturen und viele weitere Teile haben die Ingenieure nicht nachbauen müssen – die hatte Mercedes noch als originale SSK-Ersatzteile im Regal. Fast 90 Jahre alte Ersatzteile – so funktioniert das bei einem Autohersteller, der auf seine Historie stolz ist.

Manfred von Brauchitsch
Daimler
Privatfahrer Manfred von Brauchitsch (Mitte) gewann am 22. Mai 1932 mit dem aerodynamisch optimierten SSKL das Internationalen Avus-Rennen in Berlin. Rechts neben ihm Mercedes-Benz Rennleiter Alfred Neubauer, links Mechaniker Willy Zimmer.

Sehr frühe Aerodynamik

Am 22. März 1932 ballerte der SSKL beim Berliner AVUS-Rennen mit dem risikofreudigen Privatfahrer Manfred von Brauchitsch am Steuer zum Sieg. Der 300 PS leistende 6,3-Liter-Reihensechszylinder war nicht der einzige Grund – von Brauchitsch konnte sich auf seine stromliniengünstig geformte Karosserie verlassen, was ihn zirka 20 km/h schneller machte. Ingenieure schätzen, dass für diese 20 Mehr-km/h 80 zusätzliche PS nötig gewesen wären. Entworfen hatte diese seinerzeit sensationelle Karosserie Freiherr Reinhard Koenig-Fachsenfeld. Der Stuttgarter Ingenieur hatte die deutsche Repräsentanz des österreichischen Ingenieurs und Aerodynamikers Paul Jaray übernommen und kam so erstmal mit Jarays Stromlinienformen für Autos in Berührung. In Zusammenarbeit mit dem Stuttgarter FKFS (Forschungsinstitut für Kraftfahrwesen und Fahrzeugmotoren Stuttgart) entwickelte er die aerodynamischen Formen ständig weiter.

Mercedes SSKL AVUS Stromlinienwagen
Daimler
Aerodynamisch günstige Tropfenform am Heck des SSKL AVUS.

Von Brauchitsch später DDR-Sportfunktionär

Die für den SSKL entworfene Karosserie hatte einen um 25 Prozent besseren Luftwiderstands-Beiwert als die originalen Werkswagen. Koenig-Fachsenfeld ließ seine Karosserie von Walter Vetter Karosserie- und Fahrzeugbau in Cannstatt fertigen. Von Brauchitsch, dafür bekannt, sein Material nicht zu schonen, war mit seinem SSKL schneller als Rudolf Caracciola auf seinem Alfa Romeo. Er legte auf der AVUS eine damals atemberaubende Durchschnitts-Geschwindigkeit in Höhe von 194,2 km/h hin – der Sieg brachte ihm einen Werksfahrerposten im Mercedes-Team ein. Weitere Stationen seines Lebens: Sturmführer beim Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps, Referent im Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion unter Albert Speer, dreimal mit dem Vaterländischen Verdienstorden ausgezeichneter DDR-Sportfunktionär.

Ende einer PR-Legende

Zum Lackieren hatten Koenig-Fachsenfeld und von Brauchitsch seinerzeit angeblich keine Zeit mehr, weshalb der SSKL auf der AVUS mit blankem Aluminium glänzte. Paul Laven, einer der Pioniere der Rundfunk-Reportage, nannte in seiner Renn-Übertragung für den Südwestdeutschen Rundfunkdienst das Auto deshalb einen „Silbernen Pfeil“. Der Tonmittschnitt als Beweis existiert bis heute – allerdings liegt er nicht beim Südwestdeutschen-Rundfunkdienst-Nachfolger Hessischer Rundfunk (HR), sondern beim Südwestrundfunk (SWR). Das alte Silberpfeil-PR-Märchen von zu schweren Rennwagen, dem findige Mercedes-Renntechniker 1934 aus Gewichtsgründen eilig den Lack von der Karosserie kratzten, dürfte damit langsam in Vergessenheit geraten.

Urgewalt für Mutige

Nach dem Anlassen grölt und bullert der Renner urgewaltig – er klingt, als wäre Krieg. Beim Fahren steigert sich dieses Überfall-Geräusch noch heftig, während der Wind dem Beifahrer die Tränen waagerecht aus den Augen treibt. Der Fahrer hat einen kleinen Windabweiser vor sich, der fast nichts abweist – für den Beifahrer ist so ein Schutz nicht vorgesehen. Und Gurte gibt es für beide nicht. Das Ofenrohr-Bein rechts neben dem Beifahrer grölt am heftigsten – und wir fahren vielleicht 40 km/h und keine über 200 wie im Rennen. Der Fahrer leitet jeden Schaltvorgang mit Zwischengas ein, schließlich ist das Getriebe nicht synchronisiert. Die Vorderreifen schmeißen Kiesel in die Gesichter von Fahrer und Beifahrer, die vom nasskalten Morgenwind fast taub sind. Rennen fahren war damals eine unheimlich harte und ungemein gefährliche Arbeit – wir sind froh, dass wir den SSKL als Insassen nur bei handzahmen Geschwindigkeiten erleben.

Umfrage
Mercedes hat den verschollenen SSKL AVUS Stromlinienwagen nachgebaut - okay?
1657 Mal abgestimmt
Ja, ich finde es toll, die alten Rennwagen zu erleben.Nein, wenn er weg ist, ist er weg.

Fazit

Der Mercedes AVUS SSKL Stromlinienwagen ist in vielerlei Hinsicht ein bemerkenswertes Fahrzeug: Seine zukunftsweisende Stromlinienform kam von privaten Aerodynamik-Enthusiasten, nicht von Mercedes. Aber der Stuttgarter Autokonzern erkannte die Wichtigkeit der Aerodynamik und entwickelte sie für spätere Modelle weiter. Außerdem scheint der SSKL der erste Silberpfeil gewesen zu sein, womit Mercedes seine wohl frei erfundene Farbabkratz-Legende zu Grabe trägt.

Gut, dass Mercedes den Renner trotzdem nachgebaut und den Mut hat, seine eigene Geschichte zu berichtigen. Der SSKL Stromlinienwagen an sich ist auf jeden Fall eine frühe technische Meisterleistung. Ihn zu steuern, dazu gehört ein ordentliches Maß an Risiko-Verachtung.

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