Lucid Gravity . Schwerkraft. 2.768 Kilo treffen auf über 800 PS. Ergo: schwer ist er, der elektrische Siebensitzer und Kraft hat er auch. Aber der pioniergeistigen Truppe aus dem Zentrum des Siliziums-Tales ging es beim Namen wohl eher um etwas Epochales. Schließlich nennen sie ihre elektrische Limousine "Air".
Und was kann der Schwerkraft-SUV? Eine ganze Menge, auf rund fünf Metern Länge bei mehr als drei Metern Radstand und den Elektroauto-typischen Packagevorteilen bietet er reichlich Platz für bis zu sieben Reisende im Innenraum, bis zu 3.450 Liter Kofferraumvolumen inklusive dem Extra-Kofferraum (Frunk) vorn. Ihn beschreiben die Kalifornier prosaisch als einen Raum, wo man gemeinsam mit Lieblingsmenschen Erinnerungen sammeln kann. Nun, das ist so ähnlich, als ob man der mit großer Geste ausgesprochenen Einladung eines Amerikaners zu sich nach Hause tatsächlich nachkommt. Er wird es vergessen haben und Sie nicht reinlassen. Ergo: vergessen Sie es. Und: wer will sich schon unter einer aufgeklappten Motorhaube großartigen Erlebnissen hingeben.
Hochwertig und variabel
Zumal das im schicken Innenraum des Lucid Gravity eh viel mehr Freude macht. Hier stehen fünf unterschiedliche Farb- und Themenwelten zur Wahl von hell bis dunkel-gedeckt. Die beiden hinteren Sitzreihen sind umlegbar und machen sich flach, die dritte Reihe verschwindet auf Wunsch in einem Bodenfach, das ansonsten trotz sieben Sitzen noch Kofferraum parat hält. Diese Variabilität geht zwar etwas auf Kosten oberklassiger Sitzkontur, dennoch logiert es sich in Reihe zwei sehr ordentlich und selbst auf den zwei Plätzen ganz hinten noch annehmbar. Hinzu kommen zahlreiche Ablagefächer und -flächen, Klapptische und Anschlüsse – praktisch beim Reisen und im Stand. Die Anmutung ist grundsätzlich hochwertig, selbst wenn Details wie wellige Türdichtungen oder konstruktiv nicht komplett schließende Jalousien den Eindruck etwas trüben (Vorserie).
Alles andere als trüb: die OLED-Touchscreens im Cockpit mit ihren scharfen Darstellungen, über die ein Teil der Bedienung bis hin zur Spiegel- oder Lenksäulenverstellung läuft. Immerhin gibt’s trotzdem physische Tasten, etwa zur Klima- und Lautstärkeregelung sowie für den Scheibenwischer.

Kalifornischer Hightech-Innenraum: OLED-Displays und edle Materialien prägen das Cockpit.
Lädt mit bis zu 400 kW, beschleunigt mit über 800 PS
Ebenso intensiv nimmt sich Lucid des Antriebs an. So bunkert der mit 926-Volt-Technik ausgestattete Gravity bis zu 123 kWh netto in seinem Akku mit modernen Panasonic-Rundzellen, lädt am Schnelllader mit bis zu 400 kW (am Tesla-Lader mit 225 kW). Lucid verspricht 724 Kilometer Reichweite nach US-Standard. Dabei helfen neben dem effizienten Antrieb der günstige cW von 0,24. Die großen optionalen 22/23 Zoll-Räder dürften dabei eher hinderlich sein, doch es stehen noch 20/21-Zoll zur Wahl.
Grundsätzlich treibt der Lucid alle vier Räder an, lenkt hinten optional mit und beschleunigt mit über 800 PS. Natürlich nur in diesem magischen Moment, wenn sich Uranus und Venus küssen und die Temperatur 22,7 Grad beträgt. Im Ernst, wie bei allen E-Autos ist das die reine Spitzenleistung, dauerhaft realisiert eine E-Maschine des Lucid um 200 kW. Wenn alles passt, saust der 2,8-Tonner dennoch in 3,6 Sekunden auf 100 und schiebt mit maximal 1.232 Newtonmetern wuchtig an.
Nicht vergessen: die Marke Lucid startete bei uns erst im Jahr 2021 – um sich gleich mit Mitbewerbern zu messen, bei denen die Frau des Gründers bei ihrer Pionierfahrt noch Sprit in der Apotheke holte. nachdem die Mütter in den Dörfern zuvor ihre Kinder ins Haus rissen, als sie des verbrennungsmotorischen Automobiles ansichtig wurden. Heutzutage geht die Entwicklung (bei Lucid mit 2.000 Ingenieuren) halt flotter als zu Bertha Benz‘ Zeiten und E-Autos summen fast lautlos. Einzig die Apothekendichte dürfte immer noch höher als die von Ladesäulen. Speziell in den USA, und das nicht nur in den Flyover-States. Selbst im Herzen der Intelligenz, dem Silicon Valley stehen die Schnellader auch nicht an jeder Ecke.
Komfort und Dynamik mit Dreikammer-Luftfederung
Wir fahren jetzt mal mit dem Gravity um die Ecken. Klar spürt man das Gewicht, doch eine gewisse Gravität darf so ein Maxi-SUV durchaus mitbringen. Zumal die Lenkung (Bosch vorn, optionale Hinterachslenkung mit zwei separaten Aktuatoren von ZF) Handlichkeit vermittelt. Allerdings stören das eckige Lenkrad und die hohen Rückstellkräfte die Handling-Harmonie.
Die optionale Dreikammerluftfederung und die Doppeldreiecksquerlenker vorn tasten die Straße sensibel genug ab, um Rückmeldung zu vermitteln und Unebenheiten zu kassieren. Wenn bloß die großen Räder nicht wären, die kurze Unebenheiten ungefiltert durchstellen. Sportlich: das Bremspedalgefühl mit kurzem Weg und trittfester Rückmeldung.
Der Lucid Gravity rekuperiert entweder mit bis zu 250 kW übers Fahrpedal oder verzögert per Bremspedal und Brembo-Anlage direkt und ohne Rekuperation was sich ebenso einstellen lässt wie die Fahrmodi überhaupt. Im dynamischen Modus etwa rückt der Crossover-SUV spürbar an einen heran und frisst Geraden wie Kurven mit Elan, liegt noch trockener auf dem Asphalt als ohnehin schon. Andererseits scheut sich der Gravity nicht, im Offroad-Modus per Luftfederung höhergelegt abseits der Straße zu streunern. Nur flauschig weich durch die Gegend zu wanken, das kann und will der in Arizona produzierte Kalifornier nicht. Dazu ist sein elegant-dynamischer Anspruch einfach zu ausgeprägt.