Die sibirische Kälte kommt uns wie gerufen. Minus zwölf Grad lassen ganz Deutschland seit Tagen frösteln - und ein Auto zittert besonders. Der Nissan Leaf hätte sich für den ersten Test bestimmt mildere Umstände gewünscht. Schließlich machen Minusgrade den Akku eines Elektroautos müde, was die Reichweite teilweise drastisch verkürzt. 175 Kilometer schafft der Nissan Leaf mit abgeschalteter Klimaanlage, verkündet Nissan mit Stolz und fügt hinzu, den 4,40 Meter langen Viertürer speziell für den E-Antrieb entwickelt zu haben.
Seine Lithium-Ionen-Batterie trägt der Nissan Leaf nicht wie andere als Tankersatz, sondern clever unter dem Fahrzeugboden verteilt, was der Gewichtsverteilung gut tut (Vorder- zu Hinterachse: 55,9 zu 44,1 Prozent). Die 192 Zellen seines Akkus speichern bis zu 24 kWh Energie und füttern EM 61, den Wechselstrom-Synchronmotor unter der Haube, der beim Bremsen Energie gewinnt. Zwischen 2.730 und 9.800 Touren leitet er 80 Kilowatt über ein einstufiges Getriebe zu den Vorderrädern, 280 Newtonmeter gibt es ab der ersten Umdrehung.
Nissan Leaf schnurrt mit Tempo 130 über die Autobahn
Damit wirkt der Nissan Leaf schon beim Ausparken gegen 6.30 Uhr erfrischend wie ein starker Kaffee. Später schnurrt er mit Tempo 130 leise über die A 1, seine LED-Scheinwerfer tapfer nach Norden gerichtet. Er will von Köln nach Hamburg, will in einem Rutsch auf der A 1 ganze 441 Kilometer abspulen und allen Zweiflern zeigen, dass man sehr wohl mit dem E-Auto in die Ferne reisen kann.
Möglich macht das ein Pilotprojekt des Stromriesen RWE und der Autobahn "Tank & Rast" GmbH, die auf beiden Seiten der A 1 und A 2 zwischen Köln und Hamburg neun spezielle Ladesäulen aufgestellt haben, an denen Strom besonders schnell gezapft werden kann. Die Stationen lassen statt Wechselstrom - wie an 230-Volt-Steckdosen - Gleichstrom mit bis zu 50 kW in die Batterien fließen, was sie in 30 Minuten zu 80 Prozent auflädt und den Hochleistungs-Gleichrichter an Bord spart.
Frieren bringt 40 Kilometer Reichweite
Rund 60 Kilometer nördlich von Köln heißen die Orte Schmandbruch und Wetter, die A 1 liegt wie ein grauer Teppich im verschneiten Land, und im Nissan Leaf ist die Stimmung auf 7,5 Grad abgekühlt. Die Heizung ist aus - warm wird einem nur, wenn man die Scheiben von innen freikratzt. Das Navigationssystem hatte schon fünf Minuten hinter Köln gemahnt, dass der 84 Kilometer entfernte Rasthof unter aktuellen Bedingungen nicht erreicht werden kann - so viel zu den versprochenen 175 Kilometern. Als Sofortmaßnahmen drosseln wir das Tempo und schalten die Heizung ab. Da Letztere bei diesen Temperaturen drei Kilowatt pro Stunde frisst, zeigt der Verzicht Wirkung: 40 Kilometer mehr Reichweite berechnet der Bordcomputer und malt einen größeren Kreis in die Navigationskarte. Es ist unser neuer Bewegungsradius, der auch die Raststätte Lichtendorf-Süd einschließt. Nun krabbelt der Nissan Leaf mit Tempo 90 im Eco-Modus dahin und bleibt nach rund einer halben Stunde vor der ersten Strom-Zapfsäule stehen.
Der armdicke Stecker der Station ist schnell mit der Buchse des Nissan Leaf verkuppelt, die sich in einem Fach unter dem vorderen Logo versteckt. Aber Moment mal: An der Zapfsäule tut sich nichts? Das Teil ist nicht etwa ... doch, es ist eingefroren. Wie wir. Müde werden im Rasthaus Kaffee und ein RWE-Mitarbeiter geordert. Der freundliche Helfer braucht eine Viertelstunde, kann gegen den Frost aber auch nichts ausrichten.
Doppelt so lange Ladezeiten bei eisigen Temperaturen
Wir schon. Der Nissan Leaf wandert auf den Anhänger, der ihn zur nächsten Ladestation bringt. Diese funktioniert – fast. Nach 30 Minuten ist der Akku des Elektroautos statt versprochenen 80 Prozent nur zur Hälfte gefüllt, wie das installierte Programm auf dem Handy zeigt. Neben dem Füllstand der Batterie informiert es auch über die neue Reichweite: 65 Kilometer. Nicht genug, die nächste Ladesäule befindet sich 102 Kilometer nördlich. Also noch einmal 30 Minuten Powerladen. Einen Cappuccino später geht die Reise weiter. Auf den verbleibenden 250 Kilometern erledigt der Nissan Leaf noch zwei Tankstopps, das Stromzapfen funktioniert, aber eben langsamer als versprochen. Nach 30 Minuten sind die Akkus noch immer nur etwa halbvoll geladen, was an den niedrigen Temperaturen liegt. Daher muss der Nissan Leaf immer doppelt so lange ans Netz und kommt erst nach neun Stunden in Hamburg an.
Zurück in der Redaktion wird der Nissan Leaf auf Herz und Nieren geprüft: Er bremst und beschleunigt ordentlich, lenkt aber künstlich. Zu viert fühlt man sich wohl an Bord, nur der Kofferraum und die Zuladung sind mickrig. Die Reichweite auf dem temperaturgeregelten Prüfstand des TÜV Süd beträgt bei 23 Grad genau 126 Kilometer. Und die sind zumindest im Sommer realistisch.