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Ausfahrt im SAM Criog
Der Spaß-Buggy aus Sachsen

Ob Düne, Rennstrecke oder Stadtbummel: Der Criog aus der Sächsischen Automobil Manufaktur SAM ist die Antwort auf alle Fragen, die nie gestellt wurden. Er ist sinn- und zweckfrei und will nur eins: Spaß. Da haben sich zwei gefunden.

SAM Criog Front
Foto: Arturo Rivas

Wenn es damals zu Hause mal wieder zu laut und zu übermütig wurde, dann sagte Mama genervt: „Warte mal, du lernst den Ernst des Lebens auch noch kennen.“ Sie hatte leider recht. Ein gebrochenes Herz später, nach enttäuschten Erwartungen, einer Finanzkrise, vier Gallenkoliken, zwei Bandscheibenvorfällen, dem Ende des Maya-Kalenders, nach Steuerprüfung, Brexit, Trump und dem ständig unmittelbar bevorstehenden Untergang des Abendlandes schaust du auf die müde Visage im Spiegel und sagst: „Geh mal aus dem Bild, ich will noch mal den Jungen sehen, der einfach nur spielen wollte.“

Selbst Peter Pan musste irgendwann erwachsen werden, und wir alle wissen, dass die Unbeschwertheit der Jugend unwiederbringlich verloren ist. Was also machst du, wenn dich ein Typ anruft und behauptet, er könne sie dir wiederbringen? Du müsstest nur nach Weißwasser in Sachsen kommen.

Immerhin, das ist kein schlechter Witz: Weißwasser. Graue Plattenbauklötze neben dem größten Braunkohleloch des Ostens. Da stehst du jetzt auf einer Anhöhe der Oberlausitz. Um dich herum junge Bäume, aus denen das erste Grün so vorsichtig lugt, als seien sich die Blätter nicht sicher, ob sie nicht wieder in den Stamm zurückkehren sollten. Im Hintergrund raucht ein quaderförmiger Vulkan aus Beton, die Kühltürme des Kohlekraftwerks mit dem nur bedingt lebensbejahenden Namen Schwarze Pumpe. Der Mann am Telefon hatte Frühlingsgefühle versprochen, nicht Dunkeldeutschland.

Gaudibursche mit Hayabusa-Motor

Aber dann ist da dieses Geräusch. Metallische Schreie mit heller Stimme kommen schnell näher. Kein bassiges „Vrroom“, kein infernalisches „Rooaarrr“. Es klingt heller, jünger, ein fröhlich-freies „Jaaaaaahhhh“. Eine Sekunde später kommt es mit dem Heck voran um die Ecke, wirft übermütig eine Dreckfontäne in die Landschaft, schmirgelt knapp an einem Felsblock vorbei und tobt jubelnd aus einer Kehre wie ein junger Hund, der das Stöckchen holt.

SAM Criog Front
Arturo Rivas
Allradantrieb ist in Arbeit, aber nicht nötig. Als Heckschleuder lässt dich der Buggy wunderbar leicht um die Ecken werfen.

Und plötzlich ist er wieder da, der kleine Junge von damals, der keinen anderen Gedanken fassen kann als: Das will ich auch. „Da ist ein Hayabusa-Motor drin“, sagt der Mann vom Telefon stolz. Sven Knorr ist ein Baum von Kerl, wenn er lacht, bebt ein mächtiger Brustkorb. Der Mann kann vermutlich Motorblöcke mit bloßen Fingern aufbohren, musste er aber gar nicht. Stramme 200 PS bringt der Suzuki-Vierzylinder auch aus serienmäßigen 1,3 Litern.

Bei 750 Kilo geht da schon ordentlich der Punk ab, vor allem mit der kurzen Übersetzung. Der hinter den Sitzen eingebaute Aluwürfel brabbelt im Leerlauf ganz gesittet, doch sobald der Zeiger des Drehzahlmessers die Vier hinter sich lässt, schreit er durch den Rennauspuff begeistert auf. Die eisernen Hufe galoppieren ohne große Anstrengung auch 11.000-mal in der Minute.

Das Kraftwerk steckt im stählernen Gebälk eines Rohrrahmens. Lenkrad, Gaspedal und Sitze sind serienmäßig, Frontscheibe und Türen kosten Aufpreis. Hier geht es ums Wesentliche: Spaß. Das Hinterteil ist gewichtsparend mit einer robusten Kunststofffolie verkleidet. Das grelle Grün weckt Erinnerungen an Tennisbälle und unbeschwerte Stunden im Eisenbahner Sportverein Münster, wo die alten Herren auf der Terrasse nicht selten einen mit roter Asche und Blut besudelten Stier vom Platz kommen sahen und sich zuraunten: „Der Name ist Programm.“

Dreck macht glücklich

In der Jugend hatten sich zwei Erkenntnisse Bahn gebrochen: Erstens: Der „Becker-Hecht“ funktioniert auch auf Sandplätzen. Zweitens: Dreck macht glücklich. Das kennen wir doch alle. Wenn wir mit blutigen Knien und matschigen Buxen aus dem Wald kamen und Mama maulte: „Wie siehst du wieder aus?“, dann war es meist ein schöner Tag.

Und so ruht das Auge wohlwollend auf grobstolligen 15-Zoll-Rädern, die 215 Millimeter dick fast nackt in die Landschaft ragen. Es ist schwierig, sich auf technische Erklärungen wie das sequenzielle Sechsganggetriebe und den nachrüstbaren Allradantrieb zu konzentrieren. Wie ein Welpe, der sich freudig erregt am Boden duckt, bis du den Ball wirfst, steht das kleine Ungetüm breitbeinig vor dir und flüstert ohne Pause: Spiel mit mir!

Der Rennsitz passt auch einem etwas aus dem Leim gegangenen Endvierziger. Knapp einsneunzig unfallfrei unter den Stahlrohren durchzubringen ist kein Problem. Die Bodenfreiheit von 35 Zentimetern hilft beim Einsteigen. Wir alten Leute fahren ja deshalb so gern SUV. Starterknopf gedrückt, Motor bellt. Gang ist drin, Kupplung greift. Schon fliegen hinten die Steine und vorn die Landschaft vorbei.

Im pausenlosen Powerslide

Vor dem Anrollen hieß die oberste Devise: Mach bloß keinen Scheiß. Schon in der ersten langen Linkskurve weicht die Vernunft dem Übermut. Ha, lustig, wie die Kiefern vorbeifliegen an der Seitenscheibe, die komischerweise irgendwie plötzlich vorn ist. Mit beherztem Griff werden die Gänge durchgeladen, daneben sorgt der orange eloxierte Handbremshebel für grandiose Gaudi. Im pausenlose Powerslide geht es über die Schotterteststrecke, bis der Türrahmen voller Tannengrün steckt.

SAM Criog Heck
Arturo Rivas
Der Hayabusa-Vierzylinder hat mit 200 PS genügend Dampf für Powerslides auf der Rennstrecke.

Jetzt einfach ausbrechen, brettern bis zum Horizont, im Sand spielen und über Dünen schwänzeln. Man müsste mit so was mal die Dakar fahren. Genau das sagt sich auch Christoph, der zum Testtag seinen eigenen Criog mitgebracht hat. Bisher hat er mit einem zweisitzigen Quad Wettbewerbe bestritten. So ein Polaris sieht auf dem Papier wie ein Schnäppchen aus, aber das trügt: „Du kaufst ihn für 20.000, steckst dann noch mal 100.000 rein, und er hält trotzdem nicht“, sagt Christoph. Dann hörte er vom Projekt Criog und kaufte aus dem Stand den ersten Prototyp.

Der Name ist so sperrig wie das Hinterachsdifferenzial. Criog steht für „Competition runs in our genes“, aber die angeborene Leidenschaft, sich im Wettbewerb zu messen, ist nicht nur ein hohler Marketing-Spruch. Sven Knorr war 1990 der letzte Rallyemeister der DDR, doch nach seiner aktiven Karriere war dem 53-jährigen Sachsen eher nach Premium-Marke. 2013 bereitete er in Eigenregie einen Prototyp auf Basis des Mercedes ML für die Rallye Dakar vor. Knorr präsentierte das Auto vor den Marketingstrategen in Stuttgart. „Die fanden’s toll, sagten aber, sie machen es nicht“, sagt er ohne Zorn.

Denkanstoß von KTM

Seit immer mehr Offroad-Freunde auf der Suche nach einem bezahlbaren Buggy sind und seit KTM mit dem X-Bow so was wie ein Gokart für Große auf die Straße brachte, begann in Sachsen das Grübeln. Man müsste doch das Angenehme mit dem Zweckfreien verbinden können. Kay Stüllein fand auch, dass der Ernst des Lebens noch warten könne. Er ist der Ingenieur, der auf Wunsch aus der Heckschleuder einen Allradler macht und der das Fahrwerk des Criog entwickelte.

Der diplomierte Ingenieur aus Zwickau hätte auch bei BMW anheuern können. „Da hätte er dann bis zum Lebensende Blinker für den Dreier entwickelt“, lästert Knorr. Stüllein entschied sich für die Gaudi in der Sächsischen Automobil Manufaktur und entwickelte für den Criog ein Pushrod-Fahrwerk mit verstellbaren Hebelarmen wie bei DTM-Rennern.

Der Popo lässt sich elektrisch in sieben Stufen bis auf zehn Zentimeter über der Straße absenken, dann wachsen die Dämpfer vorn aus der Fronthaube und stützen sich an den Umlenkhebeln ab wie Sumoringer vor dem Sprung auf den Gegner. Der „Rocker“ sorgt hydraulisch betätigt für eine zunehmend straffere Abstimmung, ganz ohne Umbau von Federn und Dämpfern.

Cooler Auftritt

So kann der Criog auch Rennstrecke, wozu es sich allerdings empfiehlt, die Räder auf 17-Zoll-Semi-Slicks umstecken zu lassen, um die wilden Walzen mit ihren weichen Profilblöcken zu schonen. „Soll ich das Fahrwerk runterlassen?“, fragt Knorr nach dem Schottertest in der Lausitz. Schließlich geht es jetzt in die große Stadt, und Knorr liebt die tief geduckte Variante. Nee, lass mal. Das Auto wild und schmutzig, dazu Sakko und die guten Schuhe für den Liederabend in der Semperoper, das ist irgendwie der coolere Auftritt.

SAM Criog Front
Arturo Rivas
Zackige Formen, abgespreizte Räder, Signalfarbe. Übersehen zu werden ist im Criog unmöglich.

Der Criog darf auf Achse ins Zentrum von Dresden. Er hat eine reguläre Straßenzulassung. Keine zehn Minuten ist er hochbeinig übers Pflaster der Altstadt gerollt und hat vor dem Hotel geparkt, schon zückt ein Schaulustiger das Handy. „Ich bin erst vor einer Stunde aus dem Flieger gestiegen. Das hier ist meine erste Sehenswürdigkeit“, sagt der Tourist aus Bayern freudig erregt.

Überhaupt fragen ständig Leute ganz vorsichtig, ob sie ein Foto machen dürfen, als handle es sich um ein Stück Konzeptkunst wie drüben die drei senkrecht aufgestellten Busse vor der Gedächtniskirche. „Darf ich mich im Dirndl dazustellen?“, fragt die Kellnerin im „edelweiß“. Wenn Knorr 50 Criog verkauft, ist er in der Gewinnzone, wenn er für jedes Bild in Dresden fünf Euro nähme, ginge es deutlich schneller. Ein Ferrari 488 kostet das Dreifache, würde aber nicht ein Zehntel der Aufmerksamkeit genießen.

Wo immer der Criog parkt, bilden sich Menschentrauben. „Ich hatte zum Spielen mal einen Lotus Elan, aber das hier ist noch mal was anderes“, sagt ein grau melierter Herr beeindruckt. „Darf ich mich mal reinsetzen?“, fragt ein stämmiger junger Mann, der das Wildlederlenkrad streichelt wie eine Geliebte und selig gen Himmel lächelt. Am liebsten will er gar nicht mehr aussteigen. Dabei ist eine Fahrt im Criog ausgerechnet für ihn völlig unerreichbar. Der Mann ist blind.

RC Car ohne Fernsteuerung

Die Sehenden kannten Geschosse wie dieses allenfalls en miniature mit Fernbedienung. Dass man so was zugelassen bekommt, staunen sie und nehmen mit Wohlwollen das Kennzeichen aus dem Vogtland zur Kenntnis. Schließlich war Sachsen doch einst ein Epizentrum des Automobilbaus. Laut Knorr ist SAM gegenwärtig der einzige Autohersteller aus dem Freistaat.

Das kleine Unternehmen hat seinen Sitz in Plauen, und da geht es jetzt auch zum Sohlenwechseln hin, um auf einer Kartstrecke schwarze Striche auf den Asphalt zu malen. Die Sonne ist rausgekommen, frische Triebe sprießen aus den jungen Buchen am Wegesrand. Der Criog wieselt in zackigen Schwüngen bergauf über die Landstraße. Ein Tritt aufs Gas, schon zerren im Heck die jungen Pferde an den Antriebswellen, und nicht nur aus dem Auspuff schallt wieder die freudig erregte Botschaft: „Jaaaaahhhh!“

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Erscheinungsdatum 26.09.2024

148 Seiten