Im Rahmen des Goodwood Festival of Speed kommt der erste von Ferrari 375 Plus am 27. Juni unter den Hammer. Vor einer Woche verschickte das englische Auktionshaus Bonhams die Pressemeldung. Seitdem geht mir dieser offene Zweisitzer mit der Chassisnummer 0384AM nicht mehr aus dem Kopf. Keine Sorge: Ich möchte im Juni nicht mitbieten. Als Motor Klassik-Schreiber verdient man doch nicht ganz so gut.
Ferraris ultimative Waffe
Aber ich weiß nicht, was ich von dem Auto halten soll. "Sehr selten, Ex-Werkswagen, der erste von fünf gebauten, brutal schnell, Ferraris ultimative Waffe für den Sieg in der Sportwagen-Weltmeisterschaft": All diese Merkmale prasseln schon in der Überschrift und dem gefetteten Vorspann auf den Leser der Bonhams-Meldung ein.
Ohne Mindestgebot
Aber beim Stichwort "without reserve" bleibe ich hängen. Der Ferrari 375 Plus wird beim Goodwood Festival of Speed ohne Mindestgebot verkauft. Das Auto wechselt somit für das größte Gebot ungeachtet der Höhe des Betrags den Besitzer. Das ist für ein solch wahrscheinlich sehr wertvolles Auto ungewöhnlich. Ein Blick auf die überlieferte und nachweisbare Geschichte dieses Autos nährt meinen Verdacht.
Langer Rechtsstreit
Es gab nämlich eine jahrzehntelangen Rechtstreit um einen Ferrari 375 Plus zwischen dem letzten amerikanischen Eigentümer, einem Nuklearmediziner aus Cincinnati sowie dessen Erben und der Familie des Belgiers Jacques Swaters, Gründer des Rennteams Ecurie Francorchamps und Freund von Enzo Ferrari. Zu Beginn der 90er Jahre soll der Ferrari 375 Plus sogar zeitweise von der belgischen Polizei beschlagnahmt worden sein. Das englische Auktionshaus schreibt dazu: "Bonhams ist froh darüber, in der Lage gewesen zu sein, bei einer Lösung zu helfen", heißt es etwas umständlich in der Auktionsankündigung.
Rote Renngeschichte
Seit dem Jahr 2000 jedenfalls ist dieser Ferrari mit der Chassisnummer 0384AM bekannt. Der 375 Plus wurde bei ausgewählten Rennen der Ferrari Maserati Historic Challenge eingesetzt. Bonhams bietet den Rennsportwagen, den das Werk nach Einsätzen beim Giro di Sicilia, bei der Mille Miglia, der Daily Express Trophy in Silverstone (Gesamtsieg mit dem Argentinier Froilan Gonzales) sowie beim 24 Stunden-Rennen von Le Mans an den Kleenex-Erben Jim Kimberly in die USA verkaufte.
Letzter Einsatz 1957
Er veräußerte den Ferrari nach wenigen Einsätzen 1955 an einen Cadillac-Händler und Rennfahrer aus Ohio, der das Auto zum letzten Mal beim Cuba Grand Prix 1957. Soweit ist die Geschichte nachvollziehbar. Der Ferrari 375 Plus wird von Bonhams mit den originalen Karosserieteilen, die noch die Rennlackierung des Rennens auf Kuba tragen, sowie einem Werks-Ersatzmotorblock aus den 1950er Jahren verkauft.
Viel auf dem Spiel
Aber Fragen zur weiteren Geschichte bleiben bei mir, auch wenn der Rechtsstreit mithilfe von Bonhams beigelegt ist. Außerdem: Die Hilfe der Auktionatoren bei dem Rechtsstreit illustriert, wie hart der Kampf um die Aushängeschilder unter den namhaften Versteigerern wirklich ist. Für Bonhams steht beim Festival of Speed viel auf dem Spiel: Im vergangenen Jahr setzten sie bei der Versteigerung des ehemaligen Formel-1-Mercedes von 1954, mit dem Juan Manuel Fangio die Großen Preise von Deutschland und der Schweiz gewann, mit umgerechnet 22.701.864 Euro eine neue weltweite Rekordmarke. Das ist eine sehr hohe Messlatte für den Werks-Ferrari aus dem gleichen Jahr.
Ferrari-Rekord
Zuvor hielt ein vom Konkurrenten Gooding in den USA versteigerter Ferrari 250 TR von 1957 mit umgerechnet 11,4 Millionen Euro den Rekord. "Es kommt äußerst selten vor, dass ein Werks-Ferrari mit kontinuierlicher Geschichte und unbestrittener Identität über eine öffentliche Auktion auf den Markt kommt", schwärmt Philip Kantor von Bonhams. "Dieses Auto steht für eine frühe Schlüsselphase in der Rennlegende von Ferrari und wird nach unserer Einschätzung auf der ganzen Welt Interesse wecken."
Zweifel bleiben
Meine Zweifel an der Geschichte dieses Ferrari 375 Plus werde ich nicht los. Und ich frage mich, ob die Jagd nach immer neuen Auktionsrekorden auf Kosten der Qualität geht. Das Arsenal seltener und hochkarätiger Autoklassiker kann nicht unendlich groß sein. Ein Beispiel: In Paris wird im Rahmen der Retromobile wird für ein deutsches Luxusauto aus den 1930er Jahren, dessen Karosserie offenbar ein Nachbau ist, ein Schätzwert in Millionenhöhe angegeben. Soll damit getestet werden, ob Interessenten künftig auch für ein solches Angebot tief in die Tasche greifen? Auf mich üben solche Autos keine Anziehungskraft aus - selbst wenn ich über ein entsprechendes Budget verfügen würde.