Lucid Air Sapphire: So fühlen sich 1.251 PS auf der Rennstrecke an

Lucid Air Sapphire - erster Test
Auf der Rennstrecke mit 1.251 PS und 1.940 Nm

Veröffentlicht am 27.05.2025

Sie stehen auf Superlative? Wie wäre es mit einer der stärksten Limousinen der Welt? Die ist – natürlich – elektrisch, kommt aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten und hört auf den Namen Lucid Air Sapphire. Systemleistung: 920 kW, also umgerechnet 1.251 PS, aus drei E-Motoren (einer vorn, zwei hinten). Jeder von ihnen wiegt nur 74 Kilogramm, was gleichermaßen beeindruckend wie unerheblich scheint. Denn zwischen den Achsen steckt ein 118-kWh-Akku. Fahrzeuggewicht: rund 2,4 Tonnen. Reichweite? 694 WLTP-Kilometer. Rekordverdächtig. Doch heute liegt der Fokus auf nur 5,4 Kilometer Rennstrecke.

Was kann das Topmodell Sapphire auf der Rennstrecke?

Und damit herzlich willkommen auf dem Circuito Ascari nahe Ronda. Der fast schon unscheinbar wirkende Sapphire, den man dem Namen entsprechend nur in Saphirblau bekommt, ruht hier in Box 4 und fächelt sich mit seinen Kühlern lautstark Luft zu. Nicht nur, weil die andalusische Sonne mit fast 30 Grad vom Himmel brennt, sondern auch, damit die Batterien ins Arbeitsfenster kommen. Während sich der "Optimierungs"-Balken im Mitteldisplay zügig vom orangen in den grünen Bereich vorarbeitet, zeigt der Bordcomputer im Endurance-Profil des Track-Modus genau 96 Prozent SoC an.

Derweil kuschelt sich der Pilot in die serienmäßig 18-fach-einstellbaren Ledersitze. Etwas hoch positioniert, lässt er dem behelmten Fahrer genug Kopfraum und stützt den Oberkörper verlässlich gegen Querkräfte, wie sich gleich zeigen wird.

Unterschiede zum normalen Air? Die werden außen durch den tiefen Frontsplitter, Carbon-Bürzel am Heck und optionale Semi-Slicks sichtbar – ansonsten wirkt das Topmodell auffällig unauffällig. Drinnen glänzt das Glasdach durch Abwesenheit. Stattdessen breitet sich am Dachhimmel dunkles Alcantara aus. Der feine Stoff schmiegt sich ebenfalls an die Hände, die in ein Zweispeichen-Lenkrad greifen.

Neben neuen Grafiken präsentiert das Topmodell zusätzlich einen schärferen "Sapphire"-Straßen-Modus, den wir auf der Rennstrecke jedoch nicht brauchen werden. Stattdessen wechseln wir in den ebenfalls neuen "Track"-Modus. Wobei zusätzlich das Untermenü mit dem "Endurance"-Profil aktiv ist, das Batterie-Management auf den Trackday einstimmt. Die volle Leistung gibt‘s allerdings nur im "Dragstrip"-Profil. Ausprobieren? Na, klar!

Fabel-hafte 0-100-km/h-Sprintzeit

Perfekt vorkonditioniert stromert der Sapphire mit dezent S-Bahnigem Elektromotorrauschen aus der Pit-Lane, um auf der Gegengerade gleich wieder zu stoppen. "Dragstrip"-Profil an. Festbremsen. Schon schwenkt der kalifornische Bär im Digital-Display die Startflagge. Ja, das Wappentier ziert nicht nur Felgennarben und Kopfstützen, sondern ist auch Launch-Control-Starter. Fuß von der Bremse: Blitzartig schlagen die maximal 1.940 Nm Drehmoment zu. "Raketenstart" trifft es wohl am ehesten, es geht jedoch leiser und kontrollierter vonstatten.

Glatte zwei Sekunden verspricht Lucid für den Null-auf-Hundert-Sprint. Leichte Skepsis angesichts des Fabelwerts? Die scheint zumindest berechtigt, schließlich messen die Amis gerne auf klebrigem Untergrund, mit rollenden Starts oder stoppen bereits bei 60 mph (96,6 km/h). Subjektiv geraten die Magensäfte jedoch ordentlich in Wallung, als die Limousine losschnalzt. Dabei wird der Tacho verflucht schnell dreistellig. Ein Messegerät ist zwar nicht an Bord, doch das Bauchgefühl schätzt die Sprintzeit auf deutlich unter drei Sekunden. Mal sehen, was ein späterer ams-Test ergibt.

Doch für Beschleunigungsorgien sind wir eigentlich nicht hier. Ihre Maximal-Power von jeweils sogar 454 kW (617 PS) geben die E-Motoren auch nie länger als zehn Sekunden ab, begrenzt durch den Akku mit der 900-Volt-Architektur. Zudem ist keine Gerade von Ascari annähernd lang genug, um die 330 km/h Vmax auszufahren. Übrigens setzt Lucid anders als Porsche beim Taycan auf ein Ein-Gang-Getriebe und lässt die Motoren bis zu 20.000/min drehen.

Fliegende Runde mit gedrosselter Leistung

Wobei der Sapphire auch in der Track-Endurance-Einstellung brutal anschiebt. Lucid drosselt die Leistung jetzt zwar auf 571 kW – spürbar schwächer fühlt sich die E-Limo jedoch nicht an, denn das Fahrpedal reagiert spitz auf Berührung. In diesem Modus sollen zwei Runden Nordschleife möglich sein, in Ascari beschränken wir uns auf eine fliegende Hotlap.

Das Power-Downgrade ist auch für kleine Club-Rennstrecke in Malaga ein guter Ansatz. Denn der Handling-lastige Kurs bietet viel Topografie, ein paar blinde Kuppen, enge Schikanen und sogar eine Steilkurve – flankiert von überschaubaren Auslaufzonen.

Und schon stürzt sich der Top-Air beherzt in die erste Kurve. In Track-Stellung samt zurückgefahrener Traktionskontrolle ist die mit Semi-Slicks bereifte E-Limo dabei kaum zum Powersliden zu bewegen. Stattdessen regelt die Elektronik den Grip perfekt. Dabei drückt sich der Air fest am Kurvenausgang ab, denn die beiden Heckmotoren verteilen die Kraft wie aktive Torque-Vectoren gezielt ans kurvenäußere Rad. So unterbindet Lucid geschickt die leichte Untersteuerneigung des gut ausbalancierten Sapphire. Ein spürbarer Unterschied zum normalen Air mit Bosch-System, denn Lucid programmiert die Traktionskontrolle für den Sapphire selbst.

Natürlich lassen sich rund 2,5 Tonnen samt Fahrer nicht ganz wegprogrammieren. Zwar stemmen sich frisch abgestimmte adaptive Bilstein-Dämpfer in Kombination mit härteren Federn wirkungsvoll gegen Fliehkräfte – egalisieren können sie diese nicht. Doch selbst ohne Luftfahrwerks-Hokuspokus oder vernetzte Wankstabilisierung beruhigt der Lucid gekonnt und schnell seinen flachen Aufbau. Nach fiesen Kuppen oder Lastwechseln kommt so nie Unruhe ins Auto. Respekt, das bekommen selbst etablierte Hersteller kaum besser hin.

Deutsche Power-Limos als Benchmark

Zumal die Mittel begrenzt sind. Okay, das nötige Kleingeld steuern die Saudis bei – denn bisher verbrennen die Amis noch viel Money mit ihren E-Autos. Gemeint ist jedoch die Man-Power, die hinter dem Sapphire steht. Tatsächlich beschäftigt Lucid weltweit zwar bereits mehr Leute als Bentley, jedoch zeichnet sich für die Abstimmung des Sapphire lediglich eine Zehn-Personen-Truppe verantwortlich – ein Start-up im Start-up, wenn Sie so wollen. Allesamt sind das Fahrdynamik-Ingenieure mit internationaler Erfahrung und dem Nagel an der richtigen Stelle im Kopf. Fahrdynamische Referenz-Limo für den Sapphire: Kein Geringerer als der BMW M5 CS. Fragen? Keine. Wobei die bayerische Power-Limo glücklicherweise nicht als Vorbild für den Federungskomfort gilt, denn auch der ist durchaus beachtlich beim Lucid.

Noch nicht ganz am Ziel, aber definitiv auf dem richtigen Weg sind die Amerikaner beim Thema Lenkung – zumindest, wenn man auf die selbstgewählten Benchmarks à la Porsche blickt. Woran es noch hakt? Es fehlt eine Hinterachslenkung. Und auch die Rückmeldung könnte intensiver sein. Völlig taub stellt sich die Lenkung zwar nicht, doch insgesamt wirkt das Handmoment noch etwas künstlich. Direktheit und Präzision passen jedoch zur Power-Limo. So lässt sich der Sapphire vor und in zahlreichen Wechselkurven leicht positionieren und sauber einlenken. Sogar in der Steilkurve, die sich eingangs leicht bergauf windet, um anschließend steil bergab zu öffnen. Auch dank der optionalen, ultragriffigen Pirelli P Zero Trofeo RS reißt der Grip selbst an dieser Stelle nicht so schnell ab. Dennoch ist gerade in Ascari eine ruhige Hand am Lenkrad gefragt, damit man die Vorderachse nicht überfährt.

Leichtes Verbesserungspotenzial gibt’s auch beim Thema Bremsen. Nicht etwa bei der Wirkung, denn der Sapphire ankert mit 420-Millimeter-großen Carbon-Keramik-Bremsscheiben samt Zehn-Kolben-Sätteln an der Vorderachse sowie 390-Millimeter-Scheiben mit Vier-Kolben-Sätteln hinten äußerst kräftig. Es geht eher um die Effizienz. Lucid verzichtet auf "Brake Blending" – also das Überlagern von Rekuperation (bis zu 250 kW) und mechanischer Bremswirkung. So geht einerseits zwar Energie verloren, andererseits ist ein verlässliches und gut dosierbares Pedalgefühl das Resultat.

Die Eckdaten des Lucid Air Sapphire

Um dem Model S Plaid und Porsche Taycan Turbo GT nicht nur Paroli zu bieten, sondern dem Konkurrenten nachhaltig die Rücklichter zu zeigen, hat Lucid den Air Sapphire aufgelegt. Es ist das erste Lucid-Modell, das unter dem neuen Performance-Label auf den Markt kommt; die stärksten Vertreter der Marke werden künftig Sapphire heißen. Der Top-Air verfügt über einen zusätzlichen Motor an der Vorderachse, der die Gesamtleistung auf 1.251 PS pusht. Von null auf 100 mph (161 km/h) geht es in 3,84 Sekunden und über die Viertelmeile bei stehendem Start in 8,95 Sekunden. Die Höchstgeschwindigkeit gibt Lucid mit 330 km/h an.

Die hinteren Motoren und das Batteriepaket passt Lucid ebenso an die neuen Fähigkeiten an wie Bremsen und Fahrwerk. Der allradgetriebene Air Sapphire erhält serienmäßig Carbon-Keramik-Stopper, ein steiferes Fahrwerk mit härteren Federn und neuen Dämpfereinstellungen sowie neue Kalibrierungen für ABS, Lenkung, Torque Vectoring sowie Traktions- und Stabilitätskontrolle. Hinzu kommen breitere Räder im speziellen Sapphire-Design mit abnehmbaren Aero-Abdeckungen aus Kohlefaser, die Reifen in den Dimensionen 265/35 R20 (vorn) und 295/30 R21 (hinten) tragen.

Kleine aerodynamische Anpassungen im kürzlich präsentierten "Stealth Look", die exklusiv dieser Modellvariante vorbehaltene Farbe Sapphire Blue sowie neue Sportsitze und eine Sapphire-eigene Grafik für den Infotainment-Bildschirm heben den Top-Air auch optisch von seinen Modellgeschwistern ab. Hinzu kommt eine optimierte Wärmepumpe, um die Reichweite ein wenig zu pushen.

Lucid will mit dem Air Sapphire in der Liga des Porsche Taycan Turbo GT spielen. Das gilt ebenso für den Preis von 250.000 Euro. Einziges Extra: Semislicks für 4.000 Euro.