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Fahrbericht Nio ES8 (2018)
Ein Elektro-SUV für Familie und Langstrecke?

Inhalt von

2017 präsentierte Nio mit dem ES8 seinen erstes Elektro-SUV, inzwischen sind die ersten 10.000 Fahrzeuge in China produziert worden. Zeit für eine erste Fahrt. Warum wir uns mit dem Fünf-Meter-Familienlaster schnell angefreundet haben, klärt der Fahrbericht.

Nio ES8 Fahrbericht 2018
Foto: Nio

Mit chinesischen E-Auto-Startups ist das immer so eine Sache. Da werden spektakuläre Visionen gezeigt, Studien gebaut, Rekorde versprochen, Weltmärkte erobert, goldene Zeiten angekündigt. Und dabei bleibt es dann häufig auch. Wolkenkuckucksheim. In die Serienproduktion hat es bislang keines der Elektro-Wunderdinger geschafft. Bei Nio ist das bis jetzt anders. Das Unternehmen um Gründer William Li hat sich von Beginn an auf China fokussiert, sich mit etablierten Zulieferern aus Europa zusammengetan und großen Wert darauf gelegt, möglichst schnell ein echtes Auto auf der Straße zu haben. Das hat funktioniert, seit Juni 2018 wird der Nio ES8 an Kunden ausgeliefert.

Unsere Highlights

Nio will ein mobiles Zuhause sein

Nio ES8 Fahrbericht
auto motor und sport
Das sieht nicht nur geräumig aus, das ist es auch!

Parallel hat Nio 13 große Niederlassungen aufgebaut, die so genannten "Nio Houses", die nicht nur als Verkaufsraum dienen, sondern die gesamte Nio-Community mit einer kuschelweichen Nio-Wohlfühl-Welt bespaßen, Malkurse, Kinderbetreuung und blauer Capucchino inklusive. Das kann man mögen oder eben nicht. Zumindest ist es konsequent. Denn, so predigt es Nio-Gründer William Li: Kunden wollen heute nicht nur Blech und Technologie kaufen, sondern sich wohlfühlen. Nio will ein Zuhause sein. Und im Fall des ES8 bietet dieses Zuhause Platz für bis zu sieben Personen.

Top-Ausstattung, solide Verarbeitung

Nio ES8 Fahrbericht
auto motor und sport
Business Class gefällig? Kein Problem, das Lounge-Paket beschert dem Beifahrer einen Liegesitz und den Mitfahrern hinten zwei große Einzelsitze.

Die dürfen sich im konsequent luxuriös ausgestatteten ES8 von Beginn an auf ausgesprochen viel Platz freuen. Fahrer und Beifahrer sitzen luftig vor einem schlanken Armaturenträger, getrennt werden beide durch eine wuchtige Mittelkonsole mit "Durchreiche" im unteren Bereich. Die Verarbeitung wirkt hochwertig, die verwendeten Materialien fühlen sich sehr gut an. Gefühlt können die ES8, die wir im Werk in Hefei in die Finger bekamen, locker mit einem Tesla Model X mithalten. Abzüge gibt’s wenn, dann fürs deutlich konservativere Design.

Digitaler Assistent auf dem Armaturenbrett

Nio ES8 Fahrbericht
auto motor und sport
Nios digitaler Assistent heißt Nomi und wohnt auf dem Armaturenbrett.

Was nicht heißt, dass die Nio-Macher an digitalem Spielzeug gespart haben. Auffälligster Hinweis darauf, dass die Nio-Investoren ihr Vermögen unter anderem im Bereich der Unterhaltungselektronik gemacht haben, ist Nomi. Ein motorisierter Digital-Smiley, der prominent auf dem Armaturenträger sitzt und mit den Passagieren interagiert. Alexa mit Augen, wenn man so will. Wenn Nomi spricht, dreht sie sich zu ihrem Gesprächspartner. Wird sie zu lange ignoriert, schneidet sie Grimassen, um auf sich aufmerksam zu machen. Das wirkt alles etwas verspielt, fühlt sich dann während der Fahrt aber plötzlich seltsam vertraut an. Weil man ziemlich schnell merkt, dass Nomi deutlich mehr kann, als nur Faxen machen. Das Schiebedach schließen wenn es regnet, zum Beispiel. Oder den Paketboten ins Auto lassen, wenn der ein Paket im Kofferraum deponieren will. Und natürlich erinnert Nomi auch an Inspektionstermine und kann, ähnlich wie die digitalen Assistenten zu Hause, Informationen suchen, Parkplätze finden oder Witze erzählen. Sie gibt einer gesichtslosen (und künftig autonom agierenden Maschine) ein Gesicht. Und, sorry Auto-Puristen, fühlt sich einfach gut an.

Platz, Platz und nochmal Platz

Nio ES8 Fahrbericht
auto motor und sport
Ein bisschen speziell: Der ES8 kann fahren ("D), parken ("P") und rückwärts fahren ("R"). Neutral ("N") fehlt. Warum? Darauf wusste kein Nio-Verantwortlicher eine Antwort.

In der zweiten Sitzreihe gibt’s entweder eine Sitzbank oder, als Teil des Lounge-Pakets, zwei komfortable Einzelsitze, auf denen sich selbst Zwei-Meter-Menschen extrem komfortabel verstauen lassen. Wichtig für die meist durchdigitalisierten Mitfahrer: Jeder Sitz hat einen eigenen USB-Anschluss, an der Rückseite der Armlehne zwischen Fahrer und Beifahrer warten weitere zwei Stromtankstellen. Thema Beifahrer: Ist die Lounge-Option verbaut, kann der sich seinen Sitz zum Liegesessel umbauen, elektrische Bein- und Fußstützen inklusive.

Die größte Überraschung wartet in der dritten Sitzreihe. Dort kennen wir Europäer maximal Notsitze ohne jeglichen Komfort. Hier punktet der ES8 mit zwei beinahe langstreckentauglichen Plätzen, auf denen sich sogar zwei Erwachsene problemlos einrichten können. Lediglich für große Füße fehlen ein paar Zentimeter. Ganz ehrlich: damit kann kein Audi Q7 mithalten. Vorteil Elektromobilität: Q7 und Co. müssen im Unterboden relativ viel Platz für Antriebsstrang und Abgassystem "verschwenden".

Weiches Fahrwerk, unpräzise Lenkung

Und wie fährt so ein chinesisches Wohlfühl-Wohnzimmer? Genau so, eben. Angenehm. Unauffällig. Aufgeräumt. Leise. Und ein bisschen zu kuschelig. Das bezieht sich vor allem auf die Auslegung des Luftfahrwerks und der supersoft abgestimmten Lenkung. Die gibt nur ein Minimum an Rückmeldungen von der Fahrbahn weiter und verlangt enorme Lenkwinkel, um den 2,5-Tonner zum Richtungswechsel zu bewegen. In Europa darf man sich mit so einer Abstimmung nicht blicken lassen, in Asien und in weiten Teilen der USA kommt sowas aber sehr gut an. Weil es eben bei so einem Familien-Transporter nur bedingt darauf ankommt, leichtfüßig durch Pylonen zu tänzeln. Entsprechend defensiv sind die Sicherheitssysteme ausgelegt. Aus Kurven herausbeschleunigen mag der ES8 nicht so gerne und regelt in genau solchen Situationen konsequent die Leistung runter. Gefühlt käme der große Chinese aber locker mit deutlich höheren Kurvengeschwindigkeiten klar.

Top-Luftfahrwerk aus Deutschland

Nio ES8 Fahrbericht 2018
Nio
Dicker Sprinter: Trotz Vollalu-Chassis wiegt der ES8 bei einer Länge von fünf Metern 2,5 Tonnen und rennt trotzdem in 4,4 Sekunden auf 100 km/h. Schluss ist bei Tempo 200.

Das liegt unter anderem am feinen Luftfahrwerk, das Nio bei Continental einkauft und in Sachen Fahrkomfort einen auffällig guten Job macht. Lange Wellen bügelt der ES8 lässig weg, in der Kurve nivelliert das Fahrwerk einen Großteil der Wankbewegungen. So kennt man das auch aus deutlich teureren XL-Modellen. Nettes Detail: Conti liefert die Nio-Teile aus Gifhorn über die neue Seidenstraße per Bahn nach Hefei ins Nio-Werk. Reisezeit: drei Wochen. Mit dem Schiff wäre die Fracht drei Monate unterwegs. Nicht alle Conti-Luftfahrwerke haben übrigens einen so weiten Weg, manche müssen auch "nur" nach Stuttgart und werden dort im Mercedes EQC verbaut.

Brutale Beschleunigung, standfeste Bremsen

Nio ES8 Fahrbericht
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Unter der Motorhaube des ES8 befinden sich die Batteriesteuerung und die Nebenaggregate.

Wir konnten den ES8 auf dem Nio-Testgelände in Hefei fahren, Marter-Bahn inklusive. Abgesehen vom feinen Fahrwerk schlug sich der ES8 auch dort sehr wacker. Kein Klappern, kaum ein Knarzer aus dem Innenraum. Das spricht für einen recht hohen Produktionsstandard. Typische Elektroauto: Der ES8 kann aus dem Stand loslegen, wie die Feuerwehr. Fahrwerk-Setup auf "Sport" (optional gibt es "Komfort", "Eco" und "Individual"), Gaspedal durchdrücken und schön das Frühstück im Magen behalten. Der große Chinese schießt, nach vorne gezerrt von zwei jeweils 240 kW starken Elektromotoren, in 4,4 Sekunden auf 100 km/h. 600 PS Gesamtleistung und ein maximales Drehmoment von 840 Nm sind weit, weit weg von dem, was man als Passagier auf den hinteren Plätzen miterleben mag, vor allem, wenn darauf sofort die Vollbremsung bis zum Stillstand folgt. Diese Gummiband-Sprints sind im Alltag komplett nutzlos und machen wahrscheinlich gerade deshalb so viel Spaß. Auf unseren Test-Runden waren acht Wiederholungen kein Problem, weder die Flüssigkeitsgekühlten Lithium-Ionen-Akkus noch die Brembo-Bremsen wurden auffällig.

Akkuwechsel und Schnelllader: alles geht!

Bleibt das Thema Reichweitenangst im Elektroauto. Darüber kann man Bücher schreiben oder mit Statistiken um sich werfen die belegen, dass bereits die heute verfügbaren Elektro-Reichweiten völlig ausreichend wären. Oder man baut einfach Wechsel-Akkus ein und platziert Wechsel-Stationen entlang der großen Fernreise-Routen. Damit hat Nio gerade begonnen und bietet seinen Kunden damit als einziger Elektroauto-Hersteller außer Tesla eine exklusive Lade-Infrastruktur an. Ob das mit Blick auf schnelle Gewinne sinnvoll ist, müssen andere beurteilen. Es ist auf jeden Fall ein Alleinstellungsmerkmal das hilft, das Thema Reichweite zur Randbemerkung zu degradieren. Ach ja: Natürlich bietet der ES8 parallel zum Batteriewechsel auch zwei weitere Lademöglichkeiten an: Wechselstrom (ChadEmo) auf der Beifahrerseite, Gleichstrom (Typ2) auf der Fahrerseite. Sollte es der ES8 oder das kleinere Schwestermodell ES6 nach Europa schaffen, werden sich die Chinesen aber wohl auf den CCS-Stecker fokussieren.

Nio ES8 Fahrbericht
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Redakteur Jochen Knecht ist beeindruckt, was Nio in vier Jahren auf die Räder gestellt hat und würde Nomi gerne mit nach Hause nehmen.

Fazit

Keine vier Jahre hat Nio gebraucht, ein elektrisches SUV inklusive Serienfertigung auf die Räder zustellen. Das ist weit mehr, als die meisten Konkurrenten in der vergleichbaren Zeit hinbekommen haben. Der ES8 ist ein beeindruckend gelungenes Elektroauto, gerade weil er in Sachen Reichweite, Innovationen oder Design die allerletzte Rille fährt. William Li hat sich ganz offensichtlich die richtigen Partner an Bord geholt: Finanzstarke Investoren aus China, hochwertige Zulieferer aus Europa, Produktionskompetenz bei JAC aus China. Parallel baut Nio ein Ökosystem aus digitalem Services, Erlebniswelten und Batteriewechsel-Stationen auf. Das klingt nicht nur nach einem guten Plan, das fühlt sich auch so an. Ob der auch in Europa funktionieren kann, werden wir sehen. Mit Blick aufs Auto gibt es zumindest nicht viel, was dagegen spricht.

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