Mehr als 50 Prozent der Wege in Deutschland werden mit dem Auto zurückgelegt, meist als Fahrer und oft alleine im Fahrzeug. In der Pandemie nahm die Nutzung von Autos zu, aber seit der Einführung des 9-Euro-Tickets ist der Anteil der ÖPNV-Nutzer wieder gestiegen. Interessant ist, dass Freizeitwege den größten Anteil an den zurückgelegten Strecken ausmachen, gefolgt von Wegen zur Arbeit und Einkaufsfahrten.
Ja, absolut. Allerdings verbringen wir nicht mehr Zeit mit Mobilität, sondern legen in derselben Zeit mehr Kilometer zurück. Dies zeigt, dass der Wunsch nach Fortbewegung ungebrochen ist, aber die Menschen wollen dafür nicht mehr Zeit investieren. Mobilität bleibt ein zentrales Bedürfnis in unserer Gesellschaft. Wichtig sind vor allem Zeit, Geld und Komfort, würde ich sagen. Menschen empfinden oft, dass sie mit dem Auto schneller und bequemer unterwegs sind, auch wenn dies objektiv nicht immer stimmt. Es gibt eine subjektive Wahrnehmung von Kontrolle und Flexibilität, die das Auto attraktiv macht. Beim ÖPNV fehlen oft diese eigenen Kontrollmöglichkeiten, was zu Frustration führen kann.
Verlässlichkeit ist das A und O. Menschen müssen sich damit rechnen können, dass Verkehrsmittel pünktlich sind. Auch die Kommunikation muss verbessert werden, um das Vertrauen in die Verlässlichkeit des ÖPNV zu stärken. Ein flexibles und zuverlässiges System, das verschiedene ‚Gefäßgrößen‘ nutzt und nahtlos funktioniert, wäre ideal. Digitalisierung und Automatisierung sind dabei entscheidend, um den Komfort und die Effizienz zu steigern. Man braucht im Prinzip eine flächendeckende Lösung, die die Menschen idealerweise vor der Haustür abholt und zum nächsten Verkehrsknoten bringt. Diese nahtlose Integration verschiedener Verkehrsmittel würde den ÖPNV erheblich attraktiver machen.
Der Pkw-Besitz sinkt nicht. Gerade in ländlichen Gebieten gibt es eine Tendenz zur Mehrfachmotorisierung. Autos bieten Unabhängigkeit und sind unkompliziert, was sie attraktiv macht. Junge Menschen sind jedoch zunehmend umweltbewusst und nutzen verstärkt den ÖPNV, wenn dieser zuverlässig und attraktiv gestaltet ist. Wichtig ist, dass der ÖPNV auch in der Kostenstruktur einfach und flexibel bleibt.
Unsere bestehenden Systeme müssen umgebaut werden, was Zeit und Geld kostet. Länder, die auf der "grünen Wiese" starten, haben hier Vorteile. Unsere Herausforderung besteht darin, bestehende Infrastrukturen zu modernisieren und zu digitalisieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Es gibt viele interessante Ansätze weltweit. In Melbourne ist der ÖPNV innerhalb der Innenstadt kostenlos, was die Nutzung stark fördert. Sydney hat ein einfaches Kreditkartensystem für den ÖPNV eingeführt. Solche Systeme machen den ÖPNV sehr attraktiv und einfach zu nutzen.
Eine nahtlose Integration erfordert eine hohe Flexibilität und einfache Übergänge zwischen verschiedenen Verkehrsmitteln. Dies kann durch digitale Lösungen unterstützt werden, die den Nutzer durch den gesamten Prozess führen, sei es durch Apps oder andere digitale Hilfsmittel. Ein Beispiel wäre eine App, die den besten Weg von Tür zu Tür berechnet und dabei verschiedene Verkehrsmittel kombiniert, um die effizienteste Route zu finden.
Eine Verlängerung des Umweltbonus wäre hilfreich. Auch eine CO2-orientierte Kfz-Steuer und ein konsequenter Ausbau der Ladeinfrastruktur sind notwendig. Es braucht attraktive Modelle und Anreize, um die Akzeptanz von Elektrofahrzeugen zu steigern. Kommunikation über die Vorteile und die Verfügbarkeit von Ladeinfrastrukturen ist ebenso wichtig.
KI kann uns helfen, effizientere Wege der Energiespeicherung und -nutzung zu finden. Sie wird eine wichtige Rolle spielen, ist aber keine Allheilmittel. KI kann dazu beitragen, komplexe Verkehrssysteme besser zu steuern und Ressourcen optimal zu nutzen. Sie kann helfen, intelligente Verkehrsmanagementsysteme zu entwickeln, die den Verkehrsfluss optimieren und Emissionen reduzieren.
Diese sind vor allem für die Luftfahrt und Schifffahrt notwendig. Der Herstellungsprozess ist energieintensiv, und wir haben in Deutschland nicht unbegrenzt viel erneuerbare Energie zur Verfügung. Synthetische Kraftstoffe sind eine wichtige Ergänzung, aber im Straßenverkehr haben wir mit der Elektromobilität eine effizientere Alternative. Es ist entscheidend, die vorhandenen Ressourcen optimal zu nutzen und die richtigen Prioritäten zu setzen.
In der Digitalisierung. Schnelle Innovationszyklen und effiziente Zulassungsverfahren sind entscheidend, um neue Technologien rasch auf den Markt zu bringen. Die Digitalisierung kann helfen, den gesamten Verkehrssektor zu revolutionieren, indem sie effizientere und vernetztere Lösungen ermöglicht. Dies umfasst alles von autonomem Fahren bis hin zu smarten Verkehrssystemen, die Echtzeitdaten nutzen, um den Verkehr zu steuern und zu optimieren.
Es gibt nach wie vor viele Vorbehalte, insbesondere hinsichtlich der Ladeinfrastruktur und der Reichweite. Menschen haben oft Angst, dass sie ihr Auto nicht laden können, wenn sie es müssen. Hier spielt die persönliche Erfahrung eine große Rolle: Personen, die bereits ein E-Auto besitzen, haben weniger Bedenken. Wichtig ist, die Ladeinfrastruktur weiter auszubauen und sicherzustellen, dass sie gut sichtbar und leicht zugänglich ist.
Autonomes Fahren hat das Potenzial, den Verkehr sicherer und effizienter zu machen. Allerdings sind noch viele technische und regulatorische Hürden zu überwinden. Besonders im innerstädtischen Bereich ist die Komplexität hoch. Hier braucht es verlässliche Systeme, die mit allen Verkehrssituationen umgehen können. Auf der Autobahn ist die Umsetzung einfacher und wird wahrscheinlich schneller voranschreiten.
Wasserstoff spielt eine wichtige Rolle, insbesondere für den Schwerlastverkehr und die Industrie. Die Infrastruktur muss jedoch noch stark ausgebaut werden. Im PKW-Bereich ist die Elektromobilität derzeit weiter fortgeschritten, aber Wasserstoff kann in bestimmten Bereichen eine sinnvolle Ergänzung sein. Es ist wichtig, verschiedene Technologien parallel zu entwickeln und deren Potenziale optimal zu nutzen.
Die Antriebswende hin zu emissionsfreien Fahrzeugen ist der größte Hebel. Dazu gehören nicht nur Elektrofahrzeuge, sondern auch die Förderung von Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen für Bereiche, in denen Elektromobilität nicht praktikabel ist. Gleichzeitig müssen wir die Effizienz des gesamten Verkehrssystems verbessern und den Ausbau erneuerbarer Energien vorantreiben.
Meine Vision ist eine nachhaltige, vernetzte und effiziente Mobilität, die für alle zugänglich ist. Dies umfasst eine starke Integration verschiedener Verkehrsmittel, den Einsatz erneuerbarer Energien und die Nutzung digitaler Technologien zur Optimierung des Verkehrs. Wichtig ist, dass wir diese Transformation gemeinsam vorantreiben, um eine lebenswerte und umweltfreundliche Zukunft zu schaffen.
Vita
Prof. Meike Jipp ist seit 1. August 2023 neue Bereichsvorständin für Energie und Verkehr des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Dort werden neue Technologien erforscht und entwickelt und deren Integration vorangetrieben. Meike Jipp hat Psychologie und Informatik an der Universität Mannheim und der Carleton University in Ottawa, Kanada, studiert. Nach der Promotion und einer Postdoc-Phase, ebenfalls an der Universität Mannheim, begann sie 2010 ihre Laufbahn am DLR. Sie ist unter anderem Co-Leiterin des Expertenbeirats "Klimaschutz in der Mobilität" des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV).